staunen, nicht ärgern

Virginia Woolf, The Waves

„Tuesday follows Monday; Wednesday, Tuesday. Each spreads the same ripple. The beeing grows rings, like a tree, leaves fall“
„Dienstag folgt auf Montag, Dienstag auf Montag. Immer das gleiche Geplätscher. Das Sein setzt Ringe an, wie ein Baum, Blätter fallen.“

Es geht also um Identität, die, sprachlich vermittelt, man sich umhängt wie einen Mantel; um die Blicke und Urteile der anderen, die einen festlegen wollen, womit das Bonmot Sartres, L’enfer ce sont les autres, die Hölle, das sind die anderen, vorweg genommen wird; Identität ist nicht der sichere Bezugspunkt, von dem aus das Treiben der Welt und der anderen neidlos betrachtet wird, sondern Grenze; treffen die sechs Protagonisten sich, was mit längeren Zeitabständen immer wieder geschieht, sehen sie in den anderen, was sie nicht haben werden können, was letztlich zu einer gewissen Verschmelzung führt, die soweit geht, dass sich Bernard im letzten Kapitel fragt:

And now I ask, „Who am I?“ I have been talking of Bernard, Neville, Jinny, Susan, Rhoda and Louis. Am I all of them? Am I one and distinct? I do not know. “

Und jetzt frage ich, „Wer bin ich?“ Ich habe mit Bernard, Neville, Jinny, Susan, Rhoda und Louis gesprochen. Bin ich sie alle zusammen? Bin ich einzigartig, anders? Ich weiß es nicht.

Soll heißen: Auch wenn die Lebensentwürfe der sechs Protagonisten sich deutlich unterscheiden, sie sich doch nicht so sehr unterscheiden, dass die Lebenentwürfe der anderen nicht mehr an ihnen zerren. Die Frage, ob er eine Person ist oder mehrere, würde sich, naheliegenderweise, nicht stellen, wenn es jenseits der Identität nichts mehr gäbe, alles was subjektikv erlebbar ist, durch diese eine Identität abgedeckt wäre. Die Identität, in der man voll aufgeht, die allerdings keiner der Protagonisten erreicht, wird im Roman mehrere Male beschrieben, z.B. von Louis.

The hatchet must fall on the block; the oak must be cleft to the centre. The weight of the world is on my shoulders. Here is pen and the paper; on the letters in the wire basket I sign my name, I, I and again I.

Das Beil muss auf den Block niedersausen; die Eiche muss vollständig gespalten werden. Das Gewicht der Welt ruht auf meinen Schultern. Hier ist Füller und das Papier; auf die Briefe in dem Drahtkorb setze ich meinen Namen, ich, ich und wieder ich.

Das ist allerdings, ähnlich äußern sich auch die anderen Protagonisten, eine Momentaufnahme. Bei Neville klingt das so.

„Oppose ourselves to this illimitable chaos“, said Neville, „this formless imbecibility. Making love to a nursemaid behind a tree, that soldier is
more admirable than all the stars.

„Lass uns diesem ungebrenzten Chaos entgegenstemmen, sagte Neville, „diesem formlosen Schwachsinn. Mit einem Kindermädchen hinter einem Baum intim zu sein ist vortrefflicher als all die Sterne.“

Mit Sterne sind dann wohl alle Bestrebungen gemeint, über Sprache oder eine Erzählung Sinn zu konstruieren. Wir verstehen durchaus, was Neville sagen will, allerdings führt die Absage an Geschichten zum reinen Konsum. Weswegen der Abschnitt weitergeht.

Yet sometimes on trembling star comes into the clear sky and makes me think the world beautiful…
Doch manchmal erscheint ein zitternder Stern am Himmel und die ganze Welt erscheint mir schön….

… wobei es auch dann wieder so weitergeht

and we maggots deforming even the trees with our lust.
und wir erscheinen mir wie Würmer, die selbst noch die Bäume mit ihrer Lust verunstalten.

 

Ähnlich wie bei Bernard bleibt aber das Verhältnis zwischen sinnstiftender Erzählung und dem verzweifeln an der Sprache in der Schwebe. Erst am Schluss des Romans, wo es im Angesicht des Todes keine sinnstiftende Erzählung mehr geben kann, hört Bernard auf, Geschichten zu erzählen.

Am Anfang, als Kinder, glauben noch alle an die sinnstiftende Erzählung, selbst Neville:

„And now“, said Neville, „let Bernard begin. Let him burble on, telling us stories, while we lie recumbent. Let him describe what we have all seen so that it becomes a sequence.“

„Und jetzt“, sagte Neville, „soll Bernard anfangen. Lasst ihn weiter plaudern, Geschichten erzählen, während wir so daliegen. Lasst ihn beschreiben, was wir alle gesehen haben, so dass daraus etwas Zusammenhängendes wird.“

Neville, der wohl Altphilologe wird und eine Anstellung als Universitätsprofessor findet, dass es Authentizität, ganz aufgehen im Hier und Jetzt, wie Jinny es zu Beginn findet, für ihn nie geben wird, versucht aber, zumindest als Kind, sich an Worte zu klammern.

But I cannot stand all day in the sun with my eyes on the ball, I cannot feel the flight of the ball through my body and think only of the ball. I shall clinger to the outsides of words all my life.

Aber ich kann nicht den ganzen Tag mit den Augen auf den Ball gerichtet in der Sonne stehen, kann des Flug des Balles nicht in meinem Körper fühlen und nur an den Ball denken. Ich werde mein ganzes Leben lang als Anhänger an der Außenseite der Wörter kleben.

Der Autor dieser Zeilen würde sagen, dass Sprache keine Authentizität schaffen kann, aber sie kann sehr wohl Authentisches festhalten. Dass man Wörter wie Münzen auch lediglich klingeln lassen kann um sich damit was zu kaufen, ist unstrittig; aber wir können davon ausgehen, dass Virginia Woolf wusste, das Wörtern auch Authentizität zukommen kann.

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