staunen, nicht ärgern

Sprachkritik in Goethes Faust

Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Am Wort ist nicht mehr viel dran, über das man nachdenken könnte.

Mephistopheles zieht hier eine Parallele zwischen dem wirren Unsinn der Zaubersprüche und der Kunst

Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit

zu verbreiten.

(Eine Vorgehensweise, die er im Gespräch mit dem Schüler schon dem akademischen Personal unterstellt hat.)

Beim Wort lässt nichts denken. Ist der Begriff zum Wort geschrumpft, haben wir eine Worthülse. (Eine Begriffshülse wäre ein Widerspruch in sich, denn der Begriff setzt eine intellektuelle Durchdringung voraus.)

Vordergründig könnte man das à la Wittgenstein interpretieren. Bezeichnet ein Begriff etwas, dem keine Erfahrung zugrunde liegen kann, weil es Bezug nimmt auf etwas außerhalb dieser erfahrbaren Welt, etwa der Weltgeist bei Hegel, dann bezeichnet Wittgenstein Sätze, die mit diesen Begriffen operieren, als unsinnig. („Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.“) Allerdings ist das nicht die Stoßrichtung der Sprachkritik im Faust. Die Kritik richtet sich gegen Begriffe, die nur noch Worthülsen sind. Reicht die subjektive Welterfahrung noch nicht aus, den Begriff mit Inhalt zu füllen, dann haben wir eine Worthülse, die Kommunikation wird zum Wortgeklingel.

Eher im Sinne Wittgensteins könnte dieses Aperçu aus der Szene mit dem Schüler verstanden werden.

Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt Euch vorher wohl präpariert,
Paragraphos wohl einstudiert,
Damit Ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
Als diktiert, Euch der Heilig Geist!

Metaphysik liegt außerhalb der erfahrbaren Welt, wird über metaphysische Zusammenhänge spekuliert, hat man es mit Wörtern, bzw. mit Worthülsen zu tun. Wer dafür ein illustratives Beispiel haben will, kann die Divina Commedia von Dante lesen, https://www.divina-commedia.de. Spätestens beim Paradies wird das sinnfrei, weil Dante noch nie im Paradies war und mit viel Scholastik darüber spekuliert. Es gibt da deutliche Unterschiede zwischen Inferno, mit den enstprechenden Verfehlungen hat er Erfahrung und kann auch die geeignete Strafe finden und Purgatorio und Paraiso, wo er noch nie wahr. Im Sinne Wittgenstein ist Purgatorio und Paraiso also schlicht unsinnig. Für den akademischen Betrieb gilt, dass je weniger Aussagen durch eigene Erfahrungen gedeckt sind, desto größer die Neigung, nichts mehr von sich zu geben, das durch Zitate gedeckt ist, egal aus welchem Jahrhundert die Zitate herangekarrt werden. Wer über keine Welterfahrung verfügt, das ist bei verbeamteten Geistlichen der Fall, die kennen Schule => Uni => Schule und eventuell wieder Uni und dann Grab. Die Blase ist eine ziemlich sterile Angelegenheit. In dieser Sphäre schrumpfen die Begriffe dann schnell zu Wörtern und mit selbigen wird dann nach Wahrheit gesucht, um die es in den Geisteswissenschaften aber gar nicht geht. Es geht um Bedeutsamkeit. Irgendwie vermischt auch Heidegger da zwei Bereiche, die nichts miteinander zu tun haben.

Bei Wissenschaft und Technik geht es um das Erfassen von sachlogischen Zusammenhängen. Solche Zusammenhänge zu erfassen ist ausgesprochen sinnvoll. Ohne Wissenschaft und Technik hätte der Corona Virus z.B. Millionen Menschen das Leben gekostet. Die Wissenschaft und Technik schafft aber sowenig Bedeutsamkeit wie das jonglieren mit zu Wörtern geschrumpften Begriffen. Sollten die Geisteswissenschaften das nicht einsehen, dann wird viel Technik, also der chatGPT, sie ersetzen. Der produziert zu jedem Thema dieser Welt irgendeinen Text. Die sind sachlogisch gesehen sogar meistens richtig. Das das Teil aber über keinerlei Welterfahrung verfügt, tönen die wie das Geblubbere von Philologen, Philosophen und was es sonst noch alles gibt, wobei es einen Unterschied gibt. chtGPT konzediert, dass es über keine Welterfahrung verfügt. An der Stelle ist die Technik also heute schon weiter, als die Philologen und Philosophen, siehe https://theatrum-mundi.de/kuenstliche-intelligenz-ist-immerhin-ehrlich/.

Mephistopheles zieht dann noch ein ganz witzigen Vergleich zwischen dem sinnfreien Geblubber der Hexe und dem akademischen Diskurs.

Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

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