staunen, nicht ärgern

Intuition aus wissenschaftlicher Sicht (TED Vortrag Lisa Feldman Barrett)

Die Argumentation in diesem Vortrag

geht so. Entgegen der landläufigen Meinung, so der Vortrag, gibt es keine quasi genetisch determinierten Emotionen und auch keine genetisch determinierte Verbindung zwischen Gesichtsausdruck / Körperhaltung und Emotion, was wiederum bedeutet, dass die ganzen Bestrebungen via Massenscreening von Gesichtern gefährliche Zeitgenossen aus dem Verkehr zu ziehen, sinnfrei sind. (Sie nennt google und Facebook, dem Autor ist allerdings nicht bekannt, dass die in diesem Bereich unterwegs sind.) Der Ansatz wäre nur richtig, wenn es eine feste Verbindung zwischen Gesichtsausdruck / Körperhaltung und Emotion gäbe. Tatsächlich ist es so, dass die Art, wie eine Situation eingeschätzt wird, die Emotionen bedingt und die Art, wie man eine Situation einschätzt, ist wiederum etwas, was wir steuern können. (… and this is what I call beeing the architect of your experience.) Sie bringt dann noch das Beispiel mit den Leuten, die vor Prüfungen, aufgrund gemachter Erfahrungen, derartig die Flatter kriegen, dass sie in der Prüfung nichts mehr auf die Reihe bekommen. Wir haben dann einen circulus vitiosus.

Was hat das jetzt mit Intuition zu tun? Emotionen werden in dem Vortrag als etwas beschrieben, das sich aufgrund einer komplexen Dynamik entwickelt und insofern steuerbar ist, als wir unsere Haltung der Welt gegenüber steuern können. (Zumindest bedingt und im nicht klinischen Bereich stimmt das wohl weitgehend.) Es liegt nun ziemlich nahe, auch die Intuition, bzw. die Möglichkeit des intuitiven Zuganges zu einem Sachverhalt, als Resultat eines dynamischen Prozess zu betrachten. Der Unterschied zwischen Emotion und Intuition besteht in der Tatsache, dass die Emotion nach Maßgabe der vorherigen Entwicklung durch ein äußeres Ereignis ausgelöst wird, die Emotion stellt aber nicht auf verstehen, im Sinne von „Nachfühlen“ ab. Bei der Intuition geht es um die Möglichkeit, ein Ereignis aufgrund der Vorerfahrung zu verstehen, also verstehen im Sinn von gefühlsmäßig erfassen und nicht um verstehen im Sinne von Nachvollziehen eines sachlogischen Zusammenhanges. Deutlich wird der Unterschied, wenn wir uns am Sprachgebrauch orientieren. Wer etwas emotional auffasst, der ist unter Umständen lediglich stinksauer. Wenn jemand etwas intuitiv erfasst, dann kann er es gefühlsmäßig nachvollziehen.

TED Vorträge haben manchmal den Charakter von „Lebensberatern“, davon gibt es ja bei schlecht sortierten Buchhandlungen, z.B. Thalia, TAUSENDE. Tatsächlich ist das nämlich ein alter Hut. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang z.B. von gelernter Hilflosigkeit, z.B. im Zusammenhang mit Mobbing. Hat jemand schon öfter erfahren, dass er sich gegen Ungerechtigkeiten nicht wehren kann, dann ist es gut möglich, dass er ein Opfer von Mobbing wird. Hat jemand gelernt, dass er sich erfolgreich wehren kann, werden unter Umständen die Mobber die Opfer. (Tatsächlich gibt es aber auch medizinisch klar definierte Krankheiten, die letztlich, zumindest in der akuten Phase, nur noch mit Medikamenten behandelt werden können. Da nützt dann positive thinking gar nüscht.) Nichtsdestotrotz kann man der Aussage, dass die Art, wie die Erfahrungen mit der Welt mental verarbeitet werden, die Sichtweise auf die Welt und damit die Emotionen verändert. Wer allzu lange Oswald Spengler liest, der hat eine düstere Sicht auf das Abendland und geht davon aus, dass dieses bald untergeht. Wer Ernst Bloch liest, Das Prinzip Hoffnung, wird eher der Meinung sein, dass Hoffnunglosigkeit Feigheit vor dem Feind ist.

Das ist aber gar nicht der interessante Punkt an dem Vortrag, wobei wir dann bei der Intuition wären. Der Begriff Intuition ist ein No Go Area in den Geisteswissenschaften, den die wollen WISSENSCHAFTLICH sein, also mindestens so wissenschaftlich wie Physik, Molekularbiologie, Chemie, Informatik. Die Philosophie, das ist die Liebe zur Weisheit, sucht zum Beispiel nach dem WAHREN Leben oder noch besser, macht sich Gedanken, was Wahrheit ist. Die Wahrheit wird dann ermittelt mit Zitaten aus 2300 Jahren von so gefühlten 10 000 Philosophen. Die Welt der Wahrheit ist aber die Welt von falsch und richtig. Bei der Intuition, auf die letztlich alle Kunst angewiesen ist, geht es aber nicht um Wahrheit, es geht um Bedeutsamkeit. Wir erwarten von einem Bild von Franz Marc nicht, dass es wahr ist. Allerdings sollte es für uns bedeutsam sein, aus welchen Gründen auch immer. Die Geisteswissenschaften sind auf dem volligen falschen Pfad unterwegs. Es geht NIE, absolut nie, um Wahrheit. Es geht um Bedeutsamkeit. Eine Wahrheit, die nicht bedeutsam ist, ist schlicht irrelevant und langweilig. Bekanntlich gibt sich ja Sokrates reichlich Mühe durch ständiges Hinterfragen die Menschheit zur Wahrheit zu führen, beantwortet aber leider nicht die Frage, wieso das bedeutsam ist.

Implizit bringt der Vortrag zum Ausdruck, dass unsere spontane Erfassung der Welt von unserer Erfahrung mit der Welt abhängt, diese Erfahrungen aber mit der Zeit gar nicht mehr präsent sind und diese Erfahrungen wiederum von der Art und Weise abhängen, wie wir die Welt mental durchdringen. Es gibt eine Stelle im Torquato Tasso von Goethe, das den Kuddelmuddel einigermaßen beschreibt, also intuitiv erklärt, was eigentlich Intuition ist.

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