staunen, nicht ärgern

Intuition aus wissenschaftlicher Sicht (TED Vortrag Lisa Feldman Barrett)

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum
sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur
was die Geschichte reicht, das Leben bietet
Sein Busen nimmt es gern und willig auf
Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er, was uns gemein erschien,
Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.
In diesem eignen Zauberkreise wandelt
Der wunderbare Mann und zieht uns an.

Torquato Tasso ist also etwas weltabgewandt, fokusiert auf Dinge, die anderen Leuten nicht auffallen. Das Ohr, das den Einklang der Natur vernimmt, ist wohl seine Identität, die mit Realität in einem Spannungsverhältnis steht. Wenn der Busen, der Busen zeichnet sich nicht durch kognitive Fähigkeiten aus und so richtig bewusst nimmt er das weit Verstreute auch nicht wahr, es prägt lediglich, mehr unbewusst als bewusst, sein Gemüt. Das alles führt dazu, dass er seine Umwelt anders bewertet.

Allerdings sind wir alle so veranlagt, andernfalls wäre die Erfassung von intuitiv gewonnen Einsichten schlicht unmöglich, was ja auch in dem Vers angesprochen wird. Die Anziehungskraft wäre nicht gegeben, wenn nicht auch seine Umgebung einen intuitiven Zugang zur Welt hätte, Torquato Tasso also zumindest teilweise auf seinen verschlungenen Pfaden folgen kann. Sieht man mal von Geisteswissenschaftlern ab, dann ist der intuitive Zugang zur Welt wohl bei allen Menschen vorhanden. Bei den einen mehr und bei den anderen weniger.

Die Frage nach der Wahrheit, diese Frage beschäftigt Geisteswissenschaftler, ist völlig irrelevant in diesem Kontext. Das tatsächliche Rätsel ist ein völlig anderes. Warum ist eigentlich etwas bedeutsam? Zu Berühmtheit hat es dieses Gedicht von Gottfried Benn gebracht.

O dass wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.

Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
vom Wind Geformtes und nach unten schwer.
Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel
wäre zu weit und litte schon zu sehr.

Es muss also ziemlich viele Leute geben, die sich darin gespiegelt sehen. Da zweifelt jemand ganz fundamental an allem, was nach allen Normen das Menschsein ausmacht: Vernunft, Beherrschbarkeit der Welt, Sinn für Ästhetik, ethische Normen etc.. Das ist jemand da gelandet, wo Mephistopheles im Faust die Menschheit haben wollte.

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.
Und doch gelingst ihm nicht, da es, soviel es strebt,
verhaftet an den Körpern klebt:
Von Körpern strömts, die Körper macht es schön,
ein Körper hemmt’s auf seinem Gange;
so, hoff ich, dauert es nicht lange,
und mit den Körpern wirds zugrunde gehn.

Das stolze Licht ist wohl die Menschheit, die sich hartknäckig dagegen wehrt, von der Finsternis ausgelöscht zu werden. Das ist geradezu existentialistisch. Für Gottfried Benn wäre es besser, die Menschheit wäre ausgelöscht. Es gäbe dann zwar keine Hoffnung mehr, aber auch weniger Ärger. So weit so gut.

Fragt man jetzt den gesunden Menschenverstand, welcher sinnvolle Zweck mit der lyrischen Gestaltung der absoluten Hoffnungslosigkeit erreicht werden soll, dann findet der gesunde Menschenverstand, dass ein solcher schlicht nicht vorhanden ist, was wiederum merkwürdig ist, denn dieselbe Frage stellt sich auch bei den Artefakten, die der gesunde Menschenverstand mehrere Stunden am Tag in der Glotze, im Kino, in den sozialen Medien und bei youtube konsumiert, ohne dass dort ein Umdenken anvisiert wird, um das es ja letztlich bei Gottfried Benn doch geht. Das Gedicht von Gottfried Benn sucht ja immerhin nach Sinn auch wenn dieser nicht gefunden wird. Wird die Abwesenheit von Sinn konstatiert, kann das der Beginn des Aufbruchs sein. Bei der reinen Unterhaltung wird gar nichts vermisst und folgerichtig ist die reine Unterhaltung auch kein Aufbruch.

 

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