staunen, nicht ärgern

Ist Grammatik angeboren? Betrachtungen jenseits von Chomsky

Haben gemacht seine Aufgaben, ging er zu Bett.

Möglich wäre noch eine Konstruktion mit einem Partizip Perfekt. Aber auch diese ist nicht so suggestiv. (Und wäre natürlich auch agrammatikalisch.)

Gemacht seine Aufgaben, ging er zu Bett.

Das ist weit weniger suggestiv. Das Partizip Präsens, eigentlich ein Adjektiv, kann dieselbe Funktion haben, wie ein Gerundium in anderen Sprachen, auch wenn die Konstruktionen im Deutschen agrammatikalisch sind. Es kann also Adversativätze, Konzessivsätze, Konsekutivsätze, Kausalsätze, Temporalsätze ersetzen. Man versteht es, obwohl man es noch nie gehört hat.

Adversativsätze
Faul seiend, ist er erfolgreich.
Er ist faul, aber erfolgreich.

Kausalätze
Den Zug verpasst habend, nahm er ein Taxi.
Da er den Zug verpasst hatte, nahm er ein Taxi.

Konditionalsätze
Habend Geld, würde er sich ein Auto kaufen.
Wenn er Geld hätte, würde er sich ein Auto kaufen.

Konzessivsätze
Das Buch gelesen habend, wusste er nicht was drin stand.
Obwohl er das Buch gelesen hatte, wusse er nicht was drin stand.

Temporalsätze
Eine Zigarette rauchend, wartete er auf sie.
Während er ein Zigarette rauchte, wartete er auf sie.

Man kann jetzt darüber spekulieren, warum allein das Partizip Präsens einen Nebensatz ersetzen kann, aber mit Sicherheit lässt sich sagen, dass dies nicht gelernt wird, denn im Deutschen kann man das nicht lernen. Möglicherweise wird doch irgendwas, irgendwie unbewusst gelernt, was aber nur gelingen kann, wenn eine Disposition hierfür vorhanden ist. In Bezug auf den Erwerb von Fremdsprachen lässt sich sagen, dass dieser mühsam wäre, wenn tatsächlich alle Möglichkeiten mit einem gerondif – participe présent / gerund – present participle / gerundio einen Nebensatz zu ersetzen, erlernt werden müssten.

Fazit: Die Reduktion auf die Frage, ob Grammatik angeboren ist oder nicht, ist nicht zielführend. Zielführender wäre die Frage, ob es eine besondere Disposition zum Erwerb einer Sprache gibt, ob Muttersprache oder Fremdsprache, oder ob Sprache lediglich so gelernt wird, wie man eben andere Dinge lernt. Zu trennen ist zwischen dem Erlernen des Phoneinventars, dem Erlernen des Wortschatzes und dem Erlernen der Grammatik, wobei bei Grammatik nochmal zu unterscheiden wäre, zwischen kontextabhängigen und kontextunabhängigen Tatbeständen. Für alle drei Ebenen gilt wohl, dass eine besondere Disposition vorliegt und andernfalls eine Sprache nicht erlernt werden könnte.

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