staunen, nicht ärgern

Ist Grammatik angeboren? Betrachtungen jenseits von Chomsky

c) Etwas merkwürdig wird es, wenn die Wörter eines semantischen Feldes zwar die gleiche Bedeutung haben, aber je nach Kontext nur das eine oder das andere möglich ist. Auch ein Deutsch Muttesprachler könnte den semantischen, also die unterschiedliche Bedeutung, von sagen und sprechen, bzw. machen und tun nicht erklären. Manchmal kann das eine durch das andere substituiert werden, manchmal nicht. Hier haben wir es wohl eher mit etwas zu tun, das schlicht gelernt wird.

=> Das tut man nicht. <=> Das macht man nicht.
=> Mach keinen Blödsinn. <=> ~ Tu keinen Blödsinn

Das hat aber mit dem in (b) beschriebenen nichts zu tun. Aus irgendwelchen Gründen haben wir im Deutschen zwei semantisch gleichwertige Wörter, die aber nicht in jedem Kontext gegeneinander subsituierbar sind. Im Fall von tun <=> machen ist das allerdings nur im Deutschen so. Im Französischen (faire), Spanischen (hacer), Italienischen (fare) gibt es nur ein Wort.

(Nach dem trüglichen Bauchgefühl des Autors gibt es im Englischen einen Unteschied zwischen „Don’t do it“ und „Don’t make it“ . „Don’t do it“ bezieht sich auf einen Sinnzusammenhang, „Fahr nicht nach Italien“, „Don’t make it“ auf etwas Konkretes, „Mach den Kuchen nicht“.)

Noch skurriler ist der Fall sagen <=> sprechen. Die damit beschriebene Tätigkeit ist jeweils die gleiche. Jemand gibt Laute von sich und erzeugt Schallwellen, die sich beim Empfänger eventuell zu einem sinnreichen etwas verdichten. Allerdings können sprechen und sagen nie gegeneinander substituiert werden. Diese Unterscheidung wird in jeder Sprache gemacht, obwohl sie semantisch unnötig ist. Hier scheint das Gehirn, unabhängi von der Frage ob man das jetzt logisch zwingend findet oder nicht, eigene Vorstellung bzgl. der Verbalisierung der Welt zu haben,

Und Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht <=> ~ Und Gott sagte, es werde Licht und es ward Licht.
~ Ich aber spreche dir: Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ins Himmelreich. <=> Ich aber sage dir: Eher kommt ein Kamel …..
Er sprache davon. <=> ~Er sagte davon.

Man könnte vermuten, das liegt an dem Personalpronomen, welches nur mit sagen möglich ist, aber es ist komplizierter.

Noch verblüffender ist, dass sprechen zwar manchmal durch sagen ersetzt werden kann, aber sich die Bedeutung ändert.

Er sprach zuviel. => Bedeutung: Er war neben der Spur und erzählte Dinge, die niemanden interessierten.
Er sagte zuviel. => Bedeutung: Er hat Sachen ausgeplaudert, die er mal besser für sich behalten hätte.

Hier haben wir es wohl eher mit Zusammenhängen zu tun, die uns unter (3), Grammatik, nochmal begegnen wirden.

d) Angeboren scheint auch die Tatsache zu sein, das entnimmt der Autor der Tatsache, dass es in allen Sprachen so ist, dass manche Adjektive, z.B. süß, bitter auch metaphorisch verwendet werden. Zwischen dem süß in süßer Schokolade und dem süß in süßem Kind besteht so wenig ein Zusammenhang, wie zwischen dem bitter in Tonic Water und dem bitter in einer bitteren Erfahrung. Hier Zusammenhänge zu sehen, scheint offensichtlich angeboren, denn ein gemeinsamer Ursprung kann das Phänomen nicht erklären. Shirin, süß, wird auch im Persischen im Sinne von knuffig, drollig, etc. verwendet. Allerdings ist die Bedeutung nicht immer gleich. Una persona dulce, eine süße Person, ist im Spanischen nicht drollig, sondern sanftmütig. Das französische Adverb doucement, also in süßer Art und Weise, geht in die gleiche Richtung. Möglich, dass der psychisch, mentale Prozess der zu dieser quasi metaphorischen Verwendung führte heute nicht mehr aktiv ist, aber ursprünglich muss er aktiv gewesen sein, sonst würden wir ihn nicht in Sprachen finden, deren gemeisame Wurzeln sehr, sehr weit zurück liegen. Besonders merkwürdig ist hierbei das Adjektiv bitter. Eine bittere Erfahrung ist eine Erfahrung, bei der die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Ist also negativ, obwohl bitter, als Geschmacksrichtung, keineswegs negativ konnotiert ist. Tonic Water, bzw. das darin enthaltene Chinin, ist bitter, verkauft sich aber wie warme Semmel. Die Pampelmuse ist bitter, zumindest wenn man nicht alle Bestandteile der Schalen abtrennt, aber auch Pampelmusen finden wir in jedem Supermarkt. Sauer macht zwar lustig, meint der Volksmund, aber jemand der sauer ist, ist ziemlich unlustig. Hier haben wir wohl eher einen angeborenen Zusammenhang, wenn auch nicht wirklich nachvollziehbar ist, in worin dieser Zusammenhang genau besteht. Weiter sind es immer nur die Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter, scharf die zur Beschreibung psychischer Zustände bzw. Ausstrahlung verwendet werden. Salzig ist komischerweise niemand.

Ein ähnliches Phänomen haben wir bei der metaphorischen Verwendung von Präpositionen, vor allem bei Präpositionen, die räumliche Verhältnisse beschreiben. Die metaphorischen Verwendung von Präpositionen muss man nicht logisch finden. Da es aber in allen Sprachen, auch die, die keine gemeinsame Wurzel haben, gemacht wird, kann man davon ausgehen, dass auch das angeboren ist. Räumliche Verhältnisse werden immer auf hierarchische Beziehungen bzw. seelische Zustände übertragen. Die Untertanen können unter der Herrschaft von irgendjemandem leiden, man kann über den Dingen stehen, was naturlich besser ist, als neben sich zu stehen. (Wobei ein Ausdruck wie „Er steht neben sich“ darauf verweist, dass der mentale Mechanismus heute noch aktiv ist, denn der Ausdruck ist neueren Datums.) Räumliche Beziehungen haben erstmal nichts zu tun mit zeitlichen Beziehungen, auch wenn oft eine Parallelität gesehen wird. Man kann seine Hängematte zwischen zwei Bäumen aufhängen, aber jemand kann auch zwischen 3 und 5 Uhr ankommen. Allerdings funktioniert der Trick nicht immer. Nur weil jemand nach fünf Uhr kommt, heißt das noch lange nicht, dass er dann nach der Tür steht. Er steht dann trotzdem hinter der Tür. Der Zusammenhang ist auch nicht sehr stabil. Quelqu’un peut venir avant six heures, mais quoiqu’il vienne avant six heures, il se trouve devant la porte. Also avant (vor, zeitlich) und devant (vor, räumlich) haben zwar dieselbe Wurzel, sind aber nicht identisch. Im großen und ganzen ist die Übertragung räumlicher Verhältnisse auf zeitliche und metaphorische Verhältnisse angeboren.

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