staunen, nicht ärgern

ein rätselhaftes Phänomen: der Patriot

Ob man die Patrioten oder Nationalisten nennt, ist eigentlich ziemlich egal, das tönt immer gleich.

„Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus

Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur. Die Ideologie des Multikulturalismus betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität selbstbewusst verteidigen.“

https://www.afd.de/grundsatzprogramm/

In diesem Zitat kann man eine klare Unterscheidung zwischen denen, die lediglich ihr Vaterland lieben und denen, die die anderen hassen, nicht so richtig sehen. Gauland und Co hassen andere Nationen nicht, aber bedrohlich finden die sie schon, was die Grenzen etwas verschwimmen lässt.

Würde man jetzt konkret fragen, was denn konkret verteidigt werden muss, dann würde da keine Antwort kommen. Macron bringt das mal ganz sinnig auf den Punkt: Patrioten sehnen sich zurück nach etwas, was es nie gab. Eine „deutsche kulturelle Identität“ ist schlicht eine Fatamorgana. Auch unter den Leuten mit deutschem und artverwandten Blutes zehn Generationen rückwärts, haben wir total Multikulti. Die eigentlichen Grenzen verlaufen zwischen Berufsgruppen, sozialer Schicht, Stadt / Land und weniger entlang von Landesgrenzen. In den meisten westlich geprägten Demokratien, und das sind eine ganze Menge, gleichen sich die Verhältnisse an und selbst bei den meisten weniger bis gar nicht demokratischen Staaten, wie etwa dem Iran, ist die offene Gesellschaft in breiten Schichten das angestrebte Ideal.

Auch das oft vorgebrachte Argument, dass archaische Gesellschaften Frauen diskriminieren, sticht nicht wirklich, denn die Verhältnisse hatten auch in der BRD noch bis in die siebziger Jahre solides Taliban Niveau. Z.B. lautete der § 1356 in den Jahren 1958–1977 wie folgt.

§ 1356 BgB. (1) [1] Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. [2] Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.

Soll heißen, ohne Erlaubnis des Göttergatten, war sie nicht berechtigt zu arbeiten. Der Unterschied zu den Taliban ist da rudimentär. Bei denen dürfen Frauen halt gar nicht arbeiten. Zwischen archaischen Verhältnissen und zivilisierten Gesellschaften liegen also unter Umständen lediglich 50 Jahre. Eine Nation ist also kein stabiles Gebilde, mit dem man sich irgendwie identifizieren könnte, sondern ein höchst volatiles Konstrukt.

Die glühenden Verehrer des Vaterlandes wie Eric Zemour oder eben Alexander Gauland haben ein fundamentales Problem. Liest man die zahlreichen Statements, dann bezieht sich Nation vor allem auf die Leute, die innerhalb der nationalen Grenzen wohnen und den entsprechenden Pass haben. (Genau genommen wird ja nicht mal genau definiert, wer konkret jetzt der besonderen Verehrung der Patrioten / Nationalisten für würdig erachtet wird.) Die Liebe der Patrioten zum Vaterland bezieht sich also auf die Leute, die dort wohnen. Leider wird diese Liebe aber nicht erwidert, denn die Patrioten und Nationalisten sind eher eine Randerscheinung. Zulauf erhalten sie nur, wenn die Bedrohungslage so ist, dass sich die Leute von einer Ausgrenzung bestimmter Gruppen eine Verbesserung der eigenen Lebenssituation versprechen.

Das Geblubbere der AFD ist also lediglich ideologischer Überbau, bedeutet aber konkret nichts.

„Wir sind offen gegenüber der Welt, wollen aber Deutsche sein und bleiben. Wir wollen die Würde des Menschen, die Familie mit Kindern, unsere abendländische christliche Kultur, unsere Sprache und Tradition in einem friedlichen, demokratischen und souveränen Nationalstaat des deutschen Volkes dauerhaft erhalten.“

Wir wollen das jetzt nicht allzu weit treiben und belassen es bei einigen Bemerkungen. Vermutlich hat nicht mal die AfD eine Vorstellung davon, was ein Deutscher ist, wodurch dann der Wunsch, ein solcher zu bleiben, relativ schnell erfüllt werden kann, denn das ist ziemlich beliebig. Konkreter ist dann schon der Ausdruck „abendländische christliche Kultur“, da kann man immerhin an konkreten Beispielen darstellen, dass das blanker Unsinn ist. Illustrieren wir das an einem Beispiel: Goethes Faust ist das wichtigste Werk der deutschen Kultur und eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur, allerdings sind die Kernaussagen diamentral entgegengesetzt zum Christentum, etwas, was vielen Deutschlehrern wohl gar nicht so richtig klar ist. Gott hat eine Sympathie für den Faust, weil dieser fundamental zweifelt und das Paradies nicht im Jenseits sucht, sondern im Hic et Nunc. Was Hiob, der trotz aller Pleiten, Pech und Pannen an seinem Glauben festhält, beschreibt Gott so:

Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen.

Die Wette zwischen Satan und Gott im Buch Hiob ist also in das exakte Gegenteil verkehrt. Hiob hält trotz aller Schicksalschläge am Glauben fest, dadurch bewährt er sich. Faust bewährt sich, weil er gar nichts glaubt, sogar bereit ist, seine Seele an den Teufel zu verkaufen. Der Faust ist also die dichterische Gestaltung einer radikal aufklärerischen Grundposition. Wer will kann es so sehen: Gott hat keinen Plan, wohin die Reise gehen soll und er braucht Persönlichkeiten wie Faust, die die MÖglichkeiten austesten. Die Liste der Inkompatibilitäten zwischen „deutscher“ Kultur und Christentum lässt sich beliebig erweitern. Geht man von den Werken aus, die man gemeinhing als Klassiker bezeichnet, ist „deutsche“ Kultur geradezu der Gegenpol zum Christentum. Die AfD hat wohl irgendwie den Islam im Hinterkopf und da den radikalen Flügel, also eine Minderheit. Aber selbst zwischen dem radikalen Flügel und Positionen, die mit der heutigen BRD kompatibel sind, liegen lediglich 50 Jahre.

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