Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichteliere hin und her.
Das trifft auf Lyrik, die sich an der vordersten Front der Welterfahrung bewegt, tatsächlich zu. Intuition irrlichtert und zutreffend ist auch das.
Dann lehret man Euch manchen Tag,
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
Dichtung ist unmittelbarer Ausdruck einer Haltung der Welt gegenüber. Diese Haltung ist das Ergebnis eines halbewussten oder mehr oder weniger bewussten Prozesses oder allgemeiner, der Welterfahrung. Wie wir die Welt erfahren ist ein undurschaubarer Mix aus gedanklicher Durchdringung, Disposition und Charakter, sozialen Bedingungen, Zufällen etc.. Das unmittelbare Erfassen des Inhalts einer Sprache die sich an der Grenze der Welterfahrung befindet, setzt voraus, dass der Empfänger eine zumindest ähnliche Entwicklung durchgemacht hat, bzw. zumindest eine Anschlussfähigkeit gegeben ist. Das beim Empfänger nicht unbedingt das ankommt, was der Sender abgeschickt hat, ist auch schon dem Direktor im Vorspiel auf dem Theater aufgefallen.
Besonders aber laßt genug geschehn!
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.
Klingt vielleicht ein bisschen spöttisch, trifft aber den Kern. Es ist durchaus zutreffend, dass ein jeder sich selbst was aussucht, aber es muss zumindest subjektiv bedeutsam sein. Es geht hier nicht um Wahrheit, es geht um Bedeutsamkeit. Dezidierter bringt es nochmal die Lustige Person auf den Punkt.
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dichtung transzendiert die Welterfahrung, macht sie bedeutsam, hebt einzelne Elemente hervor. Möglich, dass der Irrtum dann bereichernder, bedeutsamer und anschlussfähiger ist als die Wahrheit, also Bezüge hergestellt werden, die so gar nicht intendiert waren, was aber auf die Wirkung der Dichtung keinen Einfluss hat. Es mag schon sein, dass in den bunten Bildern wenig Klarheit herrscht und die bunten Bilder lediglich Projektionsfläche sind, aber darum geht es in diesem Kontext nicht. Es geht nicht um Wahrheit, bzw. um sachlogische Richtigkeit. Es geht um Bedeutsamkeit. Sachlogische Richtigkeit hat ihren Platz in dieser Welt, aber sachlogische Richtigkeit verliert dann ihren Sinn, wenn nichts mehr bedeutsam ist.
Klingt kompliziert, ist aber total einfach und funktioniert bei Milliarden von Menschen, denen das vielleicht nicht mal bewusst ist. (Viele lebens, wenigen nur ist’s bekannt….). Ein Song wie Wish you were here wird intuitiv erfasst, manche haben auch den kompletten Text eingeblendet. Vermutlich war da in vielen Bildern wenig Klarheit, aber es war für die Leute bedeutsam, warum auch immer.
Das heißt nicht, dass man sich an Dichtung nicht auch gedanklich nähern kann, teilweise sogar muss, denn die Unmittelbarkeit kann auch auf Irrwegen wandeln. Auch hierzu findet man Tausende Videos auf youtube, wo sich Leute für Fähnchen, Uniformen und Dschingtarattata begeistern. Man kann dem gleichmäßig abspulenden Lebensfaden auch dadurch Bedeutsamkeit geben, nicht zu verwechseln mit Bedeutung, indem man ihn gedanklich strukturiert, was wiederum die Welterfahrung unmittelbar verändert. Mach man das aber so, wie bei den Geisteswissenschaften üblich, also mit viel Zitieren und einer langen Aneinanderreihung von Worthülsen, ist das Ergebnis ähnlich faszinierende, wie das, was ChatGPT auswirft. Ein hübsches Beispiel für einen Laberknochen ist Hans Georg Gadamer.
Nett, dass er mit Kant anfängt, nett, dass er in Paris war, wir freuen uns, dass er guter Schachspieler war, dass er noch ein paar aperçus zur Ernährung der Weltbevölkerung, der Bedeutung des technischen Fortschritts für das Gesundheitsystem, sich Gedanken macht über die Verteilung der Resourcen etc. etc.. (Und ja, das Verteilungsproblem hat nichts mit Technik zu tun, das ist Gegenstand der Makroökonomie.) Und seine Bemerkung mit der Pille, die nach Afrika kam und dann vom Häuptling geschluckt wurde, ist dann wahnsinnig witzig, vor allem aber rassistisch. Auf solche Geisteswissenschaften, von dieser Liga sind so 99 Prozent der verbeamteten Geislichen, können wir verzichten, das spart Steuergelder und würden sie verschwinden, würde das nicht mal jemand merken.