staunen, nicht ärgern

Sprachkritik in Goethes Faust

Die Marotte Sprache mit Vernunft / Sinn gleichzusetzen abstrahiert vom Subjekt, welches eben selbige produziert. Das ist ein Kardinalfehler, der sich durch alle möglichen Bereiche durchzieht.

Die volle Breitseite gegen die Authentizität der Sprache findet sich im Studierzimmer II, also beim Gespräch zwischen Mephistopheles, der sich für Faust ausgibt, und dem Schüler. Beschrieben wird eine Sprache, die so funktioniert, bzw. ihren Zweck als organon didaskalein, also ein Instrument womit sich einem anderen etwas mitteilen lässt erfüllt, wenn die Wahrheit ausschließlich beim Objekt liegt.

Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
Mein teurer Freund, ich rat Euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichteliere hin und her.
Dann lehret man Euch manchen Tag,
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt so sein:
Das Erst wär so, das Zweite so,
Und drum das Dritt und Vierte so;
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt’s die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

Das funktioniert so zweifelsfrei, wenn es auf die subjektive Welterfahrung nicht ankommt. In diesem Fall ist das sogar die einzige Methode, sich zielführend zu unterhalten. Will man z.B. einen Pathway in der Molekularbiologie beschreiben, dann ist das eine lange Kette von Reaktionen, die objektiv, intersubjektiv nachvollziehbar immer gleiche Sachverhalte beschreiben und diese Sachverhalte werden auch explizit genannt. Auch bei dieser Art von Kommunikation kann es Probleme geben, z.B. wenn das Informationsgefälle zwischen den Gesprächspartnern so hoch ist, dass der eine länger braucht, um die Informationen zu verarbeiten. (In so einem Fall bietet sich eine textbasierte Kommunikation an.) Probleme kann es geben, bei der didaktischen Aufbereitung der Informationen. Um diesen Kontext kann es hier aber nicht gehen, denn in diesem Kontext gäbe es keinen Anlass für Spott.

Eine völlige andere Situation haben wir, wenn die Haltung des Subjekts zur Welt im Vordergrund steht und nicht die Übermittlung von objektiven Tatsachen. Darum, geht es bei objektiven Tatsachen gar nicht.

Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.

In objektiven Tatsachen, geht es nicht um einen Geist, der zu erkennen ist, denn da ist von vorneherein kein Geist drin, wobei man der Wahrheit näher kommt, wenn man unter Geist eher subjektive Bedeutsamkeit versteht. An der Grenze der Welterfahrung, also insbesondere in der Lyrik, geht es um Bedeutsamkeit. Die Welt soll nicht stumm bleiben. Dagegen richtet sich der Spott des Mephistopheles. Ein lange Aneinanderreihung von Worthülsen, von Wörtern und Begriffen, die nicht durch eine konkrete Welterfahrung gedeckt sind, schafft keine Bedeutsamkeit oder Geist.

In einer Welt von falsch oder richtig, in der Welt der objektiven Tatsachen, geht es um falsch oder richtig, nicht um subjektive Bedeutsamkeit. Eine solargetriebene Wasserentsalzungsanlagen soll nicht subjektiv Bedeutsam sein, sondern ganz objektiv Trinkwasser liefern und dafür muss man wissen, wie sie funktioniert. Am besten erklärt man das didaktisch geschickt. (Diese Frage ist im übrigen relevanter, als feministische Entwicklungspolik à la Annalena Baerbock; soit dit en passant. Wer ausgebildet wird, ist egal, Hauptsache es sind viele.)

Encheiresin naturae nennt’s die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

Das lässt eher an dem späten Goethe denken. Encheiresin naturae ist die Vorstellung, dass es etwas geben muss, was die einzelnen Teile wieder zu einem Organismus verbindet, aber dieses etwas ist nach dieser Vorstellung nicht erkennbar. Ähnlich in diesem Vers.

Denn alles muss in nichts zerfallen
Das Ewige regt sich fort in allem
Am sein erhalte dich beglückt

Das Ewige ist das, was subjektiv bedeutsam ist, ein Prinzip, das überall wirkt und sinnstiftend ist. Wenn man das Entscheidende aber als nicht erkennbar bezeichnet, verzichtet man auf Sinn. Von daher verspottet sich das Prinzip selbst. Die Idee, dass hinter den mannigfaltigen Erscheinungen ein einheitliches Prinzip wirksam sein muss, findet sich klarer ausgedrückt in „die Metamorphose der Pflanzen“, siehe https://www.garten-literatur.de/Leselaube/goethe/goethme.htm. Der Ansatz, in den mannigfaltigen Erscheinungen ein einheitliches Prinzip zu suchen, dürfte heutzutage nicht mehr zielführend sein. Die Stoßrichtung des Spottes des Mephistopheles trifft aber trotzdem ihr Ziel. Die Stoßrichtung ist eine Sprache, die leere Worthülsen aneinanderreiht, was in den Geisteswissenschaften ziemlich häufig der Fall ist.

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