Unterhalten kann man sich noch darüber, wie die Sprache unsicher tastet, wenn sich die Welterfahrung des Subjekts an den Grenzen der Sprache bewegt bzw. diese zu verschieben versucht, wie bei diesem Gedicht von Rilke.
Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben.
Ich ahne die Winde, die kommen, und muß sie leben,
während die Dinge unten sich noch nicht rühren:
die Türen schließen noch sanft, und in den Kaminen ist Stille;
die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer.
Da weiß ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer.
Und breite mich aus und falle in mich hinein
und werfe mich ab und bin ganz allein
in dem großen Sturm.
Da ahnt jemand, bzw. da verdichtet sich bei jemandem, der Eindruck, dass die Zeitläufe auf ein Gewitter mit ordentlichem Donnerwetter zulaufen. Da Rilke uns aber nicht mitteilt, welche Zeitläufe hier konkret auf die Katastrophe zusteuern, ist der Leser auf seine eigene Erfahrung und Einschätzung der Zeitläufe angewiesen. Also: Die General Theory of Employment, Interest and Money von John Maynard Keynes ist da eine andere Nummer. Wenn die Wirtschaft vom Geldmarkt abhängt und die Wirtschaftssubjekte mit der Komplexität der marktwirtschaftlichen Ordnung überfordert sind, dann haben wir ein Problem. Allerdings haben wir es bei Keynes mit einem ganz anderen Typ von Text zu tun. Die Welterfahrung des Subjekts spielt da keine Rolle. Diskutieren kann man über die Didaktik bei der Vermittlung von Sachverhalten.
Gedanken kann man sich noch darüber machen, ob Sprache einen Nationalcharakter hat, wie Humboldt behauptet und wieso joder, im Spanischen Erstaunen ausdrücken kann und das englische Pendant, also fuck, Verärgerung. (Irgendwas muss auch mit dem englischen Wort guy passiert sein. Eigentlich ist das ja ein Mann jüngeren Alters, inzwischen kann man aber auch eine Gruppe Frauen mit guy ansprechen.)
Der langen Rede kurzer Sinn. Sprache kann man unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten diskutieren. Am einfachsten machen es sich die Strukturalisten à la Saussure. Die abstrahieren vollkommen vom Subjekt, welche die Sprache hervorbringt. (Wer sich was darunter vorstellen will: Ähnlich geht auch die Grammatik vor. Kann man machen, der Autor dieser Zeilen macht das ausführlich, z.B. www.franzoesisch-lehrbuch.de, und geht es um das Erlernen einer Fremdsprache, macht das auch Sinn. Man stellt dann ganz pragmatisch fest, dass z.B. das pasado perfeito simples im Portugiesischen dem present perfect continuous im Englischen entspricht und nicht dem pasado perfecto im Spanischen. Die Frage, was die Portugiesen dazu gebracht hat, das ANDAUERNDE einer Handlung beschreiben zu wollen, wie im Englischen, aber nicht die RELEVANZ einer Handlung der Vergangenheit für die Gegenwart, wie im Spanischen, lässt man dann einfach auf sich beruhen.) Der Ansatz, Sprache als Struktur zu sehen, bei der die einzelnen Element, Phonem, Morpheme, Lexeme, strukturbildend sind, abstrahiert völlig vom Subjekt, das die Sprache hervorbringt. Dem signifiant, also dem Bezeichnenden entspricht auch kein signifié, also ein Bedeutetes, sondern mehrere Millionen davon. Jedes Subjekt hat da andere Vorstellungen und das signifié ist eine Assoziationswolke, die sich innerhalb eines neuronalen Netzes befindet.
Sprache liegt beim Strukturalismus zwar als Objekt vor, das sich gut beobachten und analysieren lässt, allerdings bleiben die eigentlich spannenden Fragen unbeantwortet bzw. geraten nicht einmal ins Blickfeld. Erweitert man diesen Ansatz dann auch noch, indem auch die Narrative lediglich strukturbildend sind, ohne dass diesen ein objektiver Wahrheitsgehalt zukommt, dann wird es endgültig dubios. Bezieht man das Subjekt mit ein, was ja immer bei Sprachkunstwerken der Fall ist, dann wird es kompliziert.
Bei der Behandlung Goethes Faust in der Schule, spielt die Sprachkritik keine Rolle, dafür aber die Gretchentragödie, die völlig bedeutungslos, bzw. nicht anschlussfähig ist, weil sie dich Rahmenbedingungen derartig geändert haben, dass die Problematik heutzutage lediglich von historischem Interesse ist.
Das Sprachkunstwerk beruht auf Intuition, soll heißen, dass einer Einstellung zur Welt als Resultat einer individuellen Entwicklung Ausdruck verliehen wird, ohne dass die Entwicklung selbst thematisiert wird. Das ist an sich nichts, was schwer verständlich ist. Praktisch die gesamte Popmusik, von Pink Floyd, über die Doors, bis zu Pete Seegers und Bob Dylan sowieso, funktioniert so. Der Erfolg der Texte beruht darauf, dass die Hörer an einem ähnlichen Punkt der Entwicklung stehen. Auch Eduardo Aute, hier Rosas en el Mar, https://www.youtube.com/watch?v=CQWITmHLlvg, funktioniert so.
Voy buscando un amor
Que quiera comprender
La alegría y el dolor
La ira y el placer
Un bello amor sin un final
Que olvide para perdonar
Es más fácil encontrar
Rosas en el mar
La la la-la la la la
Rosas en el mar
La la la-la la la la
Rosas en el mar
Voy buscando la razón
De tanta falsedad
La mentira es obsesión
Y falsa la verdad
Qué ganarán, qué perderán
Si todo esto pasará
Es más fácil encontrar
Rosas en el mar