Goethe ist bekanntlich der Meister der Intuition und der einzige, der das Thema auch explizit thematisiert. Das Thema hatten wir schon. Bezüglich Goethe hier: https://theatrum-mundi.de/was-heisst-eigentlich-intuition/
Diskutiert man über Intuition, dann wird die Sache extrem irrational, bzw. wir haben keine Möglichkeit mehr, das Phänomen, das damit beschrieben wird, exakt zu erfassen und es gibt nichts, was für die Authentizität einer Intuition bürgt. Der Chatgpt wird uns z.B. zu jedem Musikstück, zu jeder Musikrichtung, zu jedem Gedicht und zu jeder Stilrichtung in der Malerei eine Interpretation liefern, da er aber weder sieht noch hört, können wir davon ausgehen, dass der Wortschwall, den er von sich gibt, von jeder konkreten Erfahrung losgelöst ist. Es gibt für den ChatGPT nichts, was, bedeutsam ist, wobei die Tatsache, dass ihm die Sinnesorgane fehlen, noch das geringste Problem ist. Dass sich die Bundesregierung jetzt Sorgen macht, siehe https://www.zeit.de/digital/2023-02/kuenstliche-intelligenz-chat-gpt-bildung-bundestag-studie?xing_share=news kann man nachvollziehen, wenn auch aus anderen Gründen. Chatgtp produziert im industriellen Maßstab Texte, die sind aber mangels konkreter Erfahrung sowenig authentisch, wie das, was Geisteswissenschaftler auf allen Ebenen, Bachelor Studenten, Master Studenten, Doktoranden, Professoren etc. den lieben langen Tag produzieren und im Papierkorb entsorgen, siehe https://theatrum-mundi.de/sind-philologen-gebildet-und-darf-man-das-auf-schueler-loslassen/. Aus irgendwelchen Gründen gehen Philologen davon aus, dass es bei Kunst um Wahrheit geht, siehe https://theatrum-mundi.de/geisteswissenschaften-versteheritis-die-relevanz-der-wahrheit-und-friedrich-schiller/. Es geht aber nicht um Wahrheit, es geht um Bedeutsamkeit. „Listen to the winds of changing“ von den Scorpions oder die Landschaften des amerikanischen Realismus, z.B. bei Edward Hopper oder Gedichte von Theodor Storm sind nicht wahr oder falsch. Es ist lediglich so, dass sie bedeutsam sein können, wobei selbst der Begriff bedeutsam schwer zu fassen ist. Im Grunde handelt davon die ästhetische Theorie von Th.W. Adorno, die bringt es aber auf fast 600 Seiten.
Was lässt sich, so ganz abstrakt, über die Authentizität der Intuition sagen, bzw. was verbürgt, dass etwas, was intuitiv von der Quelle, dem Dichter, Musiker, Maler oder wem auch immer beschrieben wird, beim Rezipienten so oder zumindest ähnlich auch ankommt? Bei ChatGPT kommte es ja offensichtlich nicht an, obwohl chatGPT zu jedem Thema irgendwas zu erzählen hat. (Kann man ausprobieren, siehe https://openai.com/blog/chatgpt/). Es ist, aus den oben genannten Gründen, schlicht ausgeschlossen, dass ChatGPT irgendetwas versteht, wenn wir unter verstehen etwas anderes meinen, als die Nachvollziehbarkeit sachlogischer Zusammenhänge; wenn wir also unter verstehen etwas was meinen, was zumindest im Deutschen mit dem Begriff verstehen ebenfalls gemeint ist. Wenn wir z.B. vestehen, warum jemand so handelt, kann das darauf beruhen, dass wir ähnliche Erfahrungen schon selber gemacht haben und folglich auch ähnlich reagieren. Insistiert man im Zusammenhang mit Intuition auf Wahrheit, dann wäre Wahrheit, wenn die Intuition so ankommt, wie sie abgeschickt wurde. Eine Doktorarbeit über Marcel Proust verbürgt keine Authentizität, denn das schafft auch noch ChatGPT. (Davon handelt im übrigen auch die „Recherche du temps perdu“. Authentizität ist durch die „données immédiates de la conscience“ verbürgt. Nicht durch die Sprache wird der Autor in die Vergangenheit zurückkatapultiert, sondern als er die Madeleine in den Tee taucht, bzw. durch die Beugung des Knies beim Betreten des Bürgersteiges.)
Auf der Rezeptionsseite sind wir auf die Intuition immer angewiesen, wenn wir keinen Kontext haben, der es uns erlauben würde, das Dargestellte als sachlogische Konsequenz eines Prozesses zu erfassen. Nehmen wir dieses Gedicht von Stefan George
Im Windesweben, war deine Frage nur Träumerei
nur Lächeln war, was du gegeben
in dunkler Nacht, ein Glanz entfacht
nun ist es Herbst, nun muss ich wohl
alle Tage in Sehnen leben
Damit das so ankommt, wie es abgeschickt wurde, müssen Sender und Empfänger ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wobei es im Detail noch eine Spur wirrer ist. Die atmosphärische Verdichtung in z.B. diesem Bild von Spitzweg gibt es in der Realität gar nicht: https://img.welt.de/img/kultur/literarischewelt/mobile238449751/7191625457-ci23x11-w1136/Spitzweg-Der-Hagestolz-3.jpg
Da wird zwar etwas abgeschickt, was beim Empfänger auch ähnlich ankommt, der Typ im schwarzen Paletot ist ja ganz offensichtlich eher von der verkniffenen Sorte und kein wahrer Charmbolzen, aber die Rezeption kann nicht auf eine Erfahrung zurückgreifen, weil das Dargestellte schlicht nicht existiert. Ob man das, was da ankommt, à la C.G.Jung als kollektiv Unbewusstes bezeichnen kann, sei dahingestellt. Besonders unbewusst ist es ja nicht. Die Rezeption passiert ja sehr bewusst, wir wissen lediglich nicht, warum sie gelingt. Des weiteren unterstellt der Begriff kollektiv Unbewusst eine Konstanz, bei der kein Mensch weiß, ob sie tatsächlich gegeben ist. Vermutlich könnte ein Mensch des Mittelalters damit wenig anfangen. Adorno sieht das ja bekanntermaßen umgekehrt. Da ist nichts statisch. Noch die spontanste Rezeption ist durch und durch durch die Verhältnisse des gesellschaftlichen Ensembles vermittelt.