staunen, nicht ärgern

Wittgenstein und der ewige Kalauer von der Sprache, die die Grenzen der Welt bedeuten

Da irrt er eben. Es wird eben nicht in Begriffen mit einer klar definierten Bedeutung gedacht. Dass er hier schief liegt, zeigt sich im übrigen schon an der Vermischung von Wörtern und Begriffen. Die Bedeutung von Wörtern, Tisch, Stuhl, Gabel, Messer etc. sind stabil, man muss da nicht viel „denken“ um die Bedeutung zu erfassen. Begriffe sind das Ergebnis eines Individualisierungsprozesses und potentiel instabil. Der Begriff Liebe hat für ein vierjähriges Kind eine ganz andere Bedeutung, also für einen Erwachsenen. Kritisch ist auch der Satz, dass wir Begriffe prägen, aber auch durch Begriffe geprägt werden. Der erste Teil ist richtig, der zweite falsch. Wir prägen in der Tat Begriffe, aber Begriffe prägen uns nicht. Was uns prägt, ist eine andere Erfahrung, Wahrnehmung, Erkenntnis und der Begriff erlaubt uns dann den Zugriff, auf den konkreten Zustand eines Begriffes. Es mag vorkommen, dass durch geistige Inflexibilität, sozialer Rahmen, gesellschaftlicher Druck etc.. der Begriff mangels Alternativen statisch ist, dann haben alle die gleichen Vorstellungen, aber auch dann ist nicht die Sprache das Problem, sondern der Horizont.

Bleibt die letzte Frage: Wie beinflusst Sprache das Denken? Bekanntlich existieren die Wörter und Begriffe schon bevor jemand auf die Welt kommt. Das Individuum lernt im Verlaufe der Zeit, was die verschiedenen Wörter bedeuten. Das geht von trivialen Wörtern, Nase, Finger, Auge, Mund, Auto, Brille, bei denen sich das referenzierte Ding im Zeitablauf nicht ändert, bis zu komplexen Begriffen wie Demokratie, Freiheit, Marktwirtschaft, Toleranz, Bewußtsein etc.., die auf komplexe Vorstellungen verweisen, die sich im Zeitablauf, in Abhängigkeit von den persönlichen Erfahrungen, ändern. Wörter und vor allem Begriffe sind also eine höchst individuelle Angelegenheit. Ein Begriffspaar wie Kapitalismus und Marktwirtschaft verweist also auf etwas, aber nicht bei allen Leuten auf dasselbe. In der öffentlichen Darstellung in den Massenmedien verweisen beide Begriffe auf dieselbe Wirtschaftsordnung, siehe https://theatrum-mundi.de/kapitalismus-und-marktwirtschaft/ . Bei andern verweist auf zwei unterschiedliche Wirtschaftsordnungen. Wieder andere nutzen nur den einen oder anderen Begriff. Hätten wir aber keine Begriffe hierfür, könnten wir auf das dahinter stehende Konzept nicht zugreifen. Insofern ist eine Ausdifferenzierung der Sprache Zeichen Ausdruck einer schärferen Wahrnehmung der Welt. Die Tatsache allein, dass begrifflich differenziert wird, führt aber noch nicht zu einer schärferen Wahrnehmung der Welt. Verweisen die Wörter ins Nichts, bzw. auf ähnliche Dinge, die eine schärfere Wahrnehmung unterschiedlich finden würde, dann nützen auch die unterschiedlichen Begriffe nichts.

Je schärfer die Begriffsbildung, desto differenzierter kann auf eng beieinanderliegende Bewußtseininhalte zugegriffen werden. Zwischen witzig, fröhlich und lustig könnten wir begrifflos gar nicht unterscheiden. Die drei Bewußtseinszustände liegen so eng beieinander, dass wir sie ohne Begriffe nicht wahrnehmen würden und in diesem Fall sind die Begriffe sogar weitgehend gegeneinander subsituierbar.

Er ist ein witziger Mensch. <=> Er ist ein lustiger Mensch. <=> Er ist ein fröhlicher Mensch.

Wir haben aber gelernt, wenn auch unbewusst, dass es Kontexte gibt, wo diese Begriffe eben nicht gegeneinander substituierbar sind. Folglich können wir mit Begriffen auch auf eng beieinanderliegende Einschätzungen der Realität zugreifen. Ohne Begriffe könnten wir das nicht.

Es war ein lustige Feier. <=> Es war eine fröhliche Feier. <=> ~ Es war eine witzige Feier.

Es war ein lustige Geschichte. <=> Es war ein witzige Geschichte. <=> ~ Es war eine fröhliche Geschichte.

Das ist überhaupt nicht witzig! <=> Das ist überhaupt nicht lustig! <=> ~ Das ist überhaupt nicht fröhlich!

Fröhlich machte er sich an die Arbeit. <=> ~ Lustig machte er sich an die Arbeit. <=> ~ Witzig machte er sich an die Arbeit.

Wir können, zumindest manche, auch die Unterschiede beschreiben. Ein fröhlicher Mensch steckt andere mit seiner Fröhlichkeit an, es geht also um die Aussenwirkung. Ein glücklicher Mensch kann auch still in der Ecke sitzen. Die Begriffe sind also nur bedingt gegeneinander substituierbar. (Bzw. genau das gleiche bedeutet es zwar nie, aber in manchen Kontexten liegen sie semantische so dicht beeinander, dass viele Leute keinen Unterschied mehr erkennen.)

Er ist fröhlicher Mensch. <=> Er ist ein glücklicher Mensch.
Es war eine fröhliche Feier. <=> ~ Es war eine glückliche Feier.

Lustig und fröhlich beziehen sich auf die Gemütsverfassung. Manche Leute werden nach einem Glas Wein lustig und fröhlich. Witzig allerdings bezieht sich auf einen Kontext, wo ein Ereignis eine überraschende und komische Wendung nimmmt. Zum gleichen semantischen Feld gehören spaßig, amüsant, unterhaltsam etc.. Insofern wird durch Sprache die Wirklichkeit schärfer wahrgenommen. Zumindest wenn die Wörter, die überindividuell sind, durch Erfahrung unterschiedlichen Kontexten zugeordnet werden. Da alle Menschen, zumindest die Muttersprachler, eine gleiche Zuordnung machen, kann auch die Kommunikation präziser werden. (Was aber nicht notwendig der Fall ist. Zwei Leute können z.B. von Kapitalismus reden, um mal ein prominentes Beispiel zu wählen, aber das mit dem Begriff Gemeinte auf zwei völlig unterschiedliche Assoziantionswolken verweisen.)

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