staunen, nicht ärgern

Wittgenstein und der ewige Kalauer von der Sprache, die die Grenzen der Welt bedeuten

Der Bonmot von Wittgenstein könnte einen Sinn ergeben, wenn man das Possessivpronomen mehr in den Fokus rückt, auch wenn dann immer noch nicht das rauskommt, was Wittgenstein sich vorstellte. Wenn mit MEINE Sprache die individuelle Bedeutung gemeint ist, die die einzelnen Individuen einem Wort bzw. einem Begriff zuordnen und mit MEINER Welt die Vorstellung, die sich das einzelne Indivdiuum von der Welt machen, dann stimmt der Satz, zumindest in einem bestimmten Moment in der Entwicklung des Individuums. In diesem Fall verbindet das Individuum, etwa wenn es Marktwirtschaft mit Kapitalismus verwechselt, eine bestimmte Vorstellung von der Wirtschaftsordnung bestimmter Länder, nimmt bestimmte Aspekte dieser Wirtschaftsordnung wahr und andere Aspekte eben nicht, z.B. sieht es als wesentlichen Aspekt die Eigendynamik des „Kapitals“, sieht aber die Bedeutung des Wettbwerbs als Einschränkung von Macht und objektiver Kontrolle nicht. Bei Karl Marx z.B. prägte SEIN Begriff des Kapitalismus SEIN Bild auf die Welt. Mit Sprache allerdings hatte das nichts zu tun. Hätte er Alfred Marshall lesen können, hätte er also noch fünfzig Jahre länger gelebt, hätte er, die Bedeutung des zweiten Aspekts erfassen können. Denken kann Begriffe und damit die Interpretation der Welt verändern. Auch wenn wir dem Possessivpronomen eine größere Bedeutung beimessen, in der Wittgenstein Variante gibt es praktisch keinen Unterschied zwischen „Die Grenzen MEINER Sprache sind die Grenzen MEINER Welt“ und „Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen der Welt“, ändert das wenig. Das Denken setzt die Grenze, nicht die Sprache. Anders formuliert: Ein begrenzter Horizont, führt zu einer begrenzten Sprache, bzw. die Bedeutung der Begriffe und Wörter verbleiben innerhalb des durch den engen Horizont vorgegebenen Raum. Das oft konstatierte Problem der „Verarmung der Sprache“ existiert also gar nicht. Es kann höchstens sein, dass es im Zuge der Verengung des Horizontes zu einer Verarmung der Sprache kommt. Das Problem ist dann aber der enge Horizont, nicht die Sprache. Der weite Horizont findet seine Sprache, aber die Sprache erweitert nicht den Horizont.

Der Kalauer von der Sprache, die dem Denken Grenzen setzt, findet sich, zählt man die beiden kursierenden Varianten zusammen, „Die Grenzen meiner Sprache, sind die Grenzen meiner Welt“ und „Die Grenzen meiner Sprache, bedeuten die Grenzen meiner Welt“ auf insgesamt mehr als 50 000 Treffern bei google. (Anführungsstriche nicht vergessen, andernfalls erhält man alle Seiten, wo die einzelnen Wörter in beliebiger Reihenfolge auftauchen). Man kann sich fragen, wie so ein sinnfreier Kalauer es zu solcher Berühmtheit gebracht hat.

Ganz trivial kann das daran liegen, dass manche Leute ein Bedürfnis nach Myterium haben und das Mysterium auch da finden, wo keines ist. Mysteriös ist höchstens das Denken und noch mysteriöser ist, dass frühe Kulturen, egal ob Ägypten, Inka Reich, Germanen etc.. ehrfuhrtsvoll erschauerten beim Blick in den nächtlichen Sternenhimmel, sich aber über die Mysterien unter der Schädeldecke nie Gedanken machten.

Der zweite Grund, ähnlich trivial, könnte sein, dass der Kalauer intelligent klingt. Wer immer was Staatstragendes zur Toleranz, Völkerveständigung, Fremdsprachenerwerb etc. sagen muss, kann den Spruch einflicken. Besonders bei Flachpfeifen wie dem Goethe Institut kommt das besonders gut. Die sind dann mit einer philosophisch tiefsinnig begründeten Mission unterwegs und dienen nicht nur der Versorgung ausrangierter Politiker mit gut dotierten Posten. Veranstaltet das Bundesministerium „Ein Jahr der Geisteswissenschaften“, dann lässt sich mit dem Bonmot trefflich darstellen, dass der ganze Geist ein sprachliche Angelegenheit ist.

Dann gibt es noch die breit aufgestellte Liga der Oberlehrer. Die konstatieren dann eine Veränderung der Sprache, die als Verarmung intepretiert wird und schlagen so die Brücke zum allgemeinen Weltuntergang oder zumindest zur Götterdämmerung der Zivilisation. Wenn die Sprache verarmt, dann werden die Grenzen der Erfahrungsfähigkeit mit verengt. Bei manchen von diesen Genossen wäre es aber günstiger, sie würden weniger Wörter und Begriffe verwenden, aber diese wenigen Wörter und Begriffe durch einen Individualisierungsprozess gedeckt sind. Den ein Wort und noch mehr ein Begriff, der nicht das Ergebnis eines Individualisierungspozesses ist, ist eine Worthülse.

Er hier liegt völlig falsch, wobei sich dem Kontext entnehmen lässt, dass er Wittgenstein richtig interpretiert. Das Problem ist nur, dass Wittgenstein falsch liegt.

[Erläuterung Wittgenstein: „Um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müßten also denken können, was sich nicht denken läßt). Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.“ Das Problem ist, dass es diese Grenze schlicht nicht gibt. Wir erweitern und verändern im Laufe unseres Lebens die Begriffe. Man kann Popper lesen, dann ist Demokratie ein Prozess der Erkenntnisgewinnung. Es wird ein bestimmtes Gesellschaftsmodell vorgeschlagen, das bekommt dann qua Wahlen eine Möglichkeit etabliert zu werden und kann dann scheitern. Ist das der Fall, darf es die nächste Partei mit einem anderen Modell versuchten. Liest man Hayek, sieht es wieder anders aus. Da ist Demokratie im Wesentlichen die Diktatur der Mehrheit. Grenze wird ständig verändert, sowohl ontogenetisch als auch phylogenetisch.]

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