staunen, nicht ärgern

Wie bringt man eine Gesellschaft auf Linie

Die Frage nach der Kollektivschuld lässt sich also einfach beantworten. Liegt eine Kollektivschuld nur dann vor, wenn alle Deutschen oder eine großer Teil der Bevölkerung zwischen 33 und 45 den festen Willen hatten, die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen, dann haben wir keine Kollektivschuld. Sehen wir das so, dass eine Kollektivschuld schon vorliegt, wenn die sich ein Großteil der Bevölkerung durch minimale Anreize bzw. Sanktionen hat auf Linie bringen lassen, dann haben wir eine Kollektivschuld.

Im Grunde ist die in der Geschichtswissenschaft immer mal wieder aufgeworfene Frage, ob die systemischen Anreizsysteme eine Gesellschaft auf Linie bringen oder eine Ideologie die gleiche wie in der Volkswirtschaftslehre. Dort stellt sich alle paar Jahr die Frage, ob der homo oeconomicus, also der Mensch, der lediglich seinen individuellen Nutzen optimiert, ein realistisches Menschenbild ist oder ob das Handeln der Menschen nicht von anderen, etwa weltanschaulichen Aspekten, determiniert ist. Bzgl. des homo oeconomicus liegt hier aber ein Missverständnis vor. Der homo oeconomicus agiert im WETTBEWERB, denn der Staat KÜNSTLICH aufrecht erhält, so dass die Möglichkeit zum Machtmissbrauch eingeschränkt ist. Der berühmte Bäcker von Adam Smith kann eben seinen individuellen Nutzen nur dadurch optimieren, dass sein Brötchen besser und billiger sind als die der Konkurrenz, die Unternehmer müssen ihre Mitarbeiter pfleglich behandeln, sonst gehen die zur Konkurrenz und nehmen das know how gleicht mit, Bestechung ist schlecht möglich, weil sie letztlich über die Preise refinanziert werden muss etc.. Im funktionierenden Wettbewerb ist der homo oeconomicus also ein durchaus realistisches Menschenbild, weil es letztlich für die Akteure im Wettbewerb alternativlos ist.

Die Geschichte lehrt uns nun, dass die erste Annahme bzgl. des homo oeconomicus, er reagiert lediglich auf ein Anreizsystem zwar realistisch ist, die zweite Annahme, dass der homo oeconomicus durch den Wettbewerb kontrolliert wird, aber leider immer mal wieder unzutreffend ist. Nichtsdestotrotz können wir feststellen, dass Ideologien praktisch bedeutungslos sind und letztlich die Anreizsysteme ausschlaggebend sind und die Anreize leider nicht besonders groß sein müssen, um eine Gesellschaft auf Linie zu bringen.

Um es mal konkreter zu machen. Der KGB / FSB, BND, CIA Agent ist so unideologisch wie der britische MI6 oder der französische DPSD, nämlich gar nicht. Pilot bei der Bundeswehr werden die Leute, weil sie gerne Tornados fliegen und nicht um die marktwirtschaftliche Ordnung zu verteidigen. Irgendwann saß der Autor dieser Zeilen auch mal neben eine Hubschrauberpilot der NVA. Wohin das Ding flog, war dem völlig egal.

Um eine Gesellschaft auf Linie zu bringen reicht es also durchaus, eine relativ kleine Gruppe durch entsprechende Incentives auf Linie zu bringen, die dann wiederum die Anreizsysteme bzw. die Sanktionen des Systems durchsetzt. Ist das mal in Gang gesetzt, ist die gesamte Gesellschaft auf der schiefen Bahn gelandet. Das ist die Banalität des Bösen. (Für das Beispiel, mit dem Hannah Arendth ihre These illustrieren wollte, also Adolf Eichmann, trifft die zwar, wie man späteren Tonaufnahmen entnehmen kann nicht zu, der glaubte wirklich an den Quark, aber insgesamt scheint diese These realistischer und eher mit der Alltagserfahrung vereinbar, als die Annahme, dass eine Ideologie ausschlaggebend war. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Sebastian Haffner in Jekyll and Hyde. An den ganzen nationalsozialistischen Quark glaubten nicht mal die Nazis selber.)

Unterstellt man eine einigende Ideologie, stellt man im übrigen die gesamte Volkswirtschaftlsehre mit allen ihren Modellen in Frage und diese Modelle funktionieren weitgehend, auch wenn es ein bisschen komplizierter ist, als in Lehrbüchern der Mikroökonomie dargestellt, siehe www.economics-reloaded.de. Der homo oeconomicus stirbt nicht für Volk und Vaterland, ist kein Rassist oder Antisemit bzw. nur, wenn das konkrete Vorteile bringt, Religion ist ihm schlicht egal und vollkommen skruppelos ist er sowieso. Er interessiert sich lediglich für seinen persönlichen Nutzen. Wird er durch den Wettbewerb in Schach gehalten, ist er auch ein durchaus sinnstiftender Zeitgenosse, solange der Staat den Wettbwerb aufrechterhält und eingreift, wenn die Marktwirtschaft sich in eine Sackgasse manövriert hat, was immer mal wieder passiert. Der homo oeconomicus verwirklicht sogar den kantschen kategorischen Imperativ. Subjektiv ist der Bankräuber der Meinung, dass ein Bankraub nicht sanktioniert werden sollte. In einem demokratischen Entscheidungsprozess wird er sich aber gegen die Legalisierung von Bankraub aussprechen, weil er andernfalls ja nur leere Tresore knacken könnte. Anders formuliert, es ist Aufgabe des Staates die Anreizsysteme und Sanktionen so zu legen, dass der homo oeconomicus sich sinnvoll betätigt.

Viele Historiker verbringen viel Zeit damit zu ergründen, was im tief ergriffenen Gemüt der „historischen Persönlichkeiten“ vor sich geht. Das dürfte ziemliche Zeitverschwendung sein, denn auch wenn deren Gemüt von was auch immer tief ergriffen ist, bedarf es eines Anreizsystems, positiv oder negativ, um die Gesellschaft auf Linie zu bringen. Das führt dann zu einem Blick auf die Geschichte, den wir schon aus der Gegenwart kennen. Die Komplexität der Realität wird reduziert auf Persönlichkeiten, Caesar, Vercingetorix, Alexander der Große, Napoleon, Bismarck, Franco, Hitler, Putin etc. etc.. Es mag ja sein, dass all diese Gestalten mit einer Mission unterwegs waren, aber sehr unwahrscheinlich ist, dass die Gesellschaft, die sie auf Linie gebracht haben, mit derselben Mission unterwegs waren. Das widerspricht fundamental den Grundannahmen der Volkswirtschaftslehre. Ob da jemand mit einer Mission unterwegs ist, ist da schlicht egal, weil es zu einem marktkonformen Verhalten keine Alternative gibt. Wären die Leute mit einer Mission unterwegs, z.B. dem neuen Menschen à la Che Guevara, der selbstlos für die Gemeinschaft arbeitet, dann wäre die marktwirtschaftliche Ordnung obsolet. Jeder Feldversuch in diese Richtung ist aber bislang gescheitert. (Auch in Kuba selbst im übrigen. Verdient der Wächter, der irgendein leerstehendes Haus bewacht genau so viel, wie ein Arzt, dann haben wir verdammt viele Nachtwächter, die den ganzen Tag in der Sonne sitzen.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert