Allerdings klärt Keynes nicht, was die Ursachen dieser Liquiditätspräferenz sind. Dass es mit Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft zusammenhängt, ist unmittelbar einsichtig, gleichermaßen einsichtig ist, dass bei der absoluten Liquidität das Risiko geringer ist. Wer an die Strategie von Mercedes Benz nicht glaubt, also an die Strategie nur noch Nobelautos herzustellen, nicht glaubt, der verkauft seine Mercedes Benz Aktien und kauft welche von Tesla. Genau genommen kommt es hierbei nicht mal darauf an, was er selber glaubt, sondern darauf, was er glaubt, was die anderen glauben. Wenn er glaubt, dass die anderen glauben, dass die Zukunft Tesla gehört oder BYD, dann schichtet er um. Immobilien, Wertpapiere und Finanzderivate, Gold, Spekulationen auf Rohstoffmärkten erfordern nur eine geringe Marktkenntnis, weil es sich eigentlich um homogene Produkte handelt. Wer Aktien eines Telekommunikationsanbieters, eines Pharmaunternehmens, einer Bank etc. kauft, braucht kein Hintergrundwissen über die Telekommunikationsbranche, die Pharmaindustrie oder den Bankensektor. Er muss lediglich einschätzen können, wie andere Akteure die Entwicklung einschätzen. (Keynes nennt das den Beauty Contest. Das geht zurück auf eine Umfrage einer englischen Zeitung, bei der nicht danach gefragt wurde, welche Frau man selbst für die attraktivste hält, sondern um die Frage, von welcher Frau man glaubt, dass die anderen sie für die attraktivste Frau halten.)
Die Frage ist jetzt schlicht die: Nimmt diese Problematik, also die Liquiditätspräferenz, mit zunehmender Ungleichheit zu? Hierzu auch https://theatrum-mundi.de/geraet-die-marktwirtschaftliche-ordnung-an-ihre-grenzen/. Wir kürzen hier ab und verweisen auf den Link. Pro Jahr werden in Deutschland 400 Milliarden Euro vererbt. Das ist eine gewaltige Summe, fast 1/10 des BIP der BRD. Da bekommen also ein Haufen Leute einen Haufen Kohle die schlicht von Wirtschaft keine Ahnung haben und insbesondere mit Realinvestitionen völlig überfordert sind. Das muss nicht zusammenhängen, aber wir beobachten seit dreißig Jahren eine Abnahme der Realinvestionen und eine Zunahme an rein spekulativen „Investitionen“. Viele Erben werden die Verwaltung ihres Vermögens auch Unternehmen wie Blackrock überlassen, die in den letzten dreißig Jahren zu Giganten angewachsen sind. Damit wird aber ein Herzstück der klassischen Nationalökonomie, nämlich die, dass die dezentrale Steuerung über Preise für eine optimale Allokation der Resourcen sorgt in Frage gestellt. Überfordert scheint aber auch Christian Lindner zu sein. Er will bei rein spekulativen Investionen noch einen drauf legen und auch die Rente ergänzen um eine kapitalgedeckte Rente, bei den spekulativen Investitionen also noch einen paar Briketts nachschieben. Es ist bezeichnend, dass über den Investivlohn, also zurückbehaltene Lohnbestandteile, die in einem Fonds gesammelt werden und dann investiv verwendet werden, niemand mehr redet.
Wir haben also folgenden skurrile Situation. Auf der einen Seite haben wir einen immensen bedarf an Realinvestitionen: Für erneuerbare Energien, für Aufforstung, für Investitionen in die Bahn, für Telekommunikation und Digitalisierung, für Forschung und Entwicklung, für low tech in Entwicklungsländern zur Verhinderung von Migrationsströmen, für die Sanierung von Schulen etc. etc. etc.. Diese Investitionen soll aber der Steuerzahler tätigen und er soll auch das Risiko übernehmen. Auf der anderen Seite haben wir enorme Vermögensmassen, die in der absoluten Liquidität verharren. Das hat alle möglichen skurrilen Nebeneffekte. Tütet der Steuerzahler ordentlich Geld für Intel oder Tesla aus, dann steigen zwar die Aktienkurse, aber das Risiko verbleibt beim Steuerzahler. Da wir diese Konstellation weltweit haben, bleibt auch Deutschland nichts andere übrig als bei dem Spiel mitzuspielen, andernfalls wandern die Unternehmen in die USA oder sonstwo hin. Zunehmend wird also der Staat zum Unternehmer, der hat nämlich den unbestechlichen Vorteil, dass er für nichts haftet, also sowas wie Liquiditätspräferenz kennt der gar nicht, wohingegen die Leute, die in der klassischen Nationalökonomie noch Unternehmer waren, zu Vermögensverwaltern mutieren.
Es fällt z.B. ein bisschen schwer einzusehen, warum die Bahn qua Steuerzahler subventioniert werden muss. Das Geschäftskonzept scheint ja einigermaßen übersisichtlich, zumal es private Konkurrenten gibt, Flixtrain, die aber offensichtlich nicht genug Kapital anlocken, solange die Bahn geschützt wird.
Die Kernaussage von Keynes ist also nicht, dass aufgrund mangelnder Nachfrage die Wirtschaft in die Unterbeschäftigung rutscht. Die oder eine Kernaussage ist, dass die Liquiditätspräferenz dazu führt, dass der Staat zum Unternehmer mutiert und wir auf der einen Seite eine gewaltige Anballung von Vermögen haben und auf der anderen Seite öffentliche Armut.
Der Vorschlag von Marcel Fratzscher klingt jetzt erstmal radikal, siehe https://theatrum-mundi.de/marcel-fratzscher-die-unmoeglichkeit-der-oeffentlichen-debatte-und-das-vertrauen-in-den-staat/. Er spricht sich für eine Besteuerung von Vermögen aus. Das hat Keynes nicht getan. Keynes hat sozusagen die Vermögensmassen so belassen, wie sie nun mal sind und das Unternehmertun an den Staat delegiert. Solange die frei flotierende Liquidität sich lediglich an den Börsen austobt, ist es auch weitgehend egal, wie viel davon vorhanden ist. Der Staat als Unternehmer ist aber auf den Multiplikatoreffekt, der macht in der General Theory of Employment, Interest and Money eine halbe Seite aus, ist also eine Nebenbemerkung, nicht angewiesen. Agiert er als Unternehmer, geht es nur noch darum, ob sich die Investition amortisiert. Letztlich geht es also um die Frage, ob der Staat ein guter Unternehmer ist. Betrachtet man das hier, 630 Millionen Euro für nichts, stimmt das natürlich nicht gerade hoffnungsfroh: https://nationale-bildungsplattform.net/.