staunen, nicht ärgern

Die Leistung und die marktwirtschaftliche Ordnung. Gerechtigkeit und Mobilität

Wie hoch die Mobilität unter Idealbedingungen sein könnte, wissen wir definitiv nicht. Wir wissen nur, dass sich insgesamt das Qualifikationsniveau in den letzten 200 Jahren dramatisch verändert wird. Hatte früher nur ein geringer Teil der Bevölkerung Abitur, so verlassen heute fast die Hälfte der Schüler die Schule mit Abitur. Der Philologenverband meint zwar, dies sei der Tatsache geschuldet, dass das Niveau abgesenkt wurde, aber das verbuchen wir mal unter reinem Blödsinn. Es gibt heute nicht mehr Studienabbrecher als früher. Gleichermaßen Blödsinn ist die Diskussion über höheres / niedrigeres Niveau in den einzelnen Bundesländern. Empirisch belastbar wäre die These nur, wenn z.B. Leute, die in Bremen Abitur gemacht haben im Studium schlechter abschneiden, als Leute die in Bayern Abitur gemacht haben. Allgemein kann man feststellen: Je gleicher die Bildungschancen, desto mehr Leute erreichen einen höheren Bildungsabschluss. Wo da schlussendlich die Grenze liegt, weiß niemand. Weiter haben wir das Problem, dass Bildungserfolg immer ein Mix ist aus Didaktik und Talent, wir wissen aber nicht, welches Gewicht die beiden Komponenten haben. Wenn sich die Didaktik z.B. durch digitale Lernmedien drastisch verbessern lässt, erreichen unter Umständen noch mehr Leute eine höhere Qualifikation. Drastisch illustriert wird das in der Informatik. Da es Millionen an Seiten gibt, die mit allen möglichen didaktischen Ansätzen Html5, Javascript, jQuery, bootstrap, sql server, java, php, ruby on rails, kotlin etc. etc. etc. erklären, gibt es auch Millionen an Leuten, die das gelernt haben. Auf diesem Gebiet funktionierte also die Migration aus anderen Bereichen butterweich. Alle möglichen Leute, Architekten, Schreiner, Krankenpfleger, Bwler schulten da selbständig um zum Entwickler von Internet basierten Diensten aller Art.

Beim Handwerk wird gelegentlich angemerkt, dass da Leute mit der Ausbildung beschäftigt sind, die hierfür nicht ausreichend qualifiziert sind, mit dem Ergebnis, dass die Neigung, eine Ausbildung zu machen, sinkt: https://taz.de/Diskriminierung-im-Handwerk/!5907355/. Daran kann man noch arbeiten. Die vorgeschriebene Ausbildereignungsprüfung der IHK scheint nicht viel zu bringen. Wenn man länger darüber nachdenkt, werden einem wahrscheinlich noch ein paar Gründe einfallen, die die Mobilität verhindern. Zu nennen wäre noch Meisterzwang, Beamtenstatus, für die Ausübung des Berufs eigentlich nicht notwendige Zertifizierungen etc.. Möglich ist auch, dass die Neuqualifizierung über einen kurzen Zeitraum zu Einkommenseinbußen führen würde, die aber in der konkreten Situation nicht durchgestanden werden können.

Boshaftigkeit muss man niemandem unterstellen, aber das Ergebnis ist klar. Von der mangelnden Mobilität profitieren manche Bevölkerungsgruppen. Im Handel und im Logistikbereich gibt es z.B. eine Vielzahl an schlecht bezahlten Stellen bzw. sogar Stellen, wo die Bezahlung in keinem Verhältnis steht zur Leistung oder Verantwortung. Dies trifft z.B. zu für den oben genannten Brummifahrer, aber auch für die Leute, die an der Kasse sitzen. 40 Stunden an der Kasse sitzen ist anstrengender, als z.B. 24 Stunden die Woche an der Penne unterrichten und machen die an der Kasse einen Fehler, geben z.B. auf einen Zehn Euro Schein auf 50 Euro raus, dann stimmt die Kasse eben nicht mehr. (Passiert wohl eher bei Kellnern, ist aber theoretisch auch im Supermarkt denkbar, siehe https://www.ergo.de/de/rechtsportal/oft-nachgefragt/wenn-die-kasse-nicht-stimmt-wer-haftet) Die Verantwortung eines Lehrers ist hingegen Null. Der haftet persönlich schlicht für gar nichts. Könnten also die Leute, die an der Kasse sitzen ohne weiteres Lehrer werden, wären irgendwann Kassierer Mangelware und Lehrer hätten wir ausreichend. Der Lohn für Leute an der Kasse würde steigen, der Lohn für Lehrer sinken.

Das hätte auch Auswirkungen auf die Produkte. Die Preise für Lebensmittel würden steigen, der Staat müsste weniger Geld ausgeben für Lehrer. Oder, um das obige Beispiel wieder aufzugreifen: Die Tussi mit den Louis Vuitton Täschchen müsste mehr Geld ausgeben für Nahrungsmittel und hätte damit weniger Geld für Louis Vuitton Täschchen. (Was sie vermutlich nicht juckt, die hat im Regelfall geerbt.)

Es gibt also Bevölkerungsgruppen, die von der Immobilität profitieren, besonders eklatant ist das halt bei Lehrern und den Quereinsteigern. Lässt man Quereinsteiger zu, verzichtet also auf entbehrliche Zertifizierungen wie das Staatsexamen und lässt auch Ingenieure, Chemiker, Physiker, Fremdsprachenkorrespondenten, Informatiker etc. etc. unterrichten, dann haben wir schlagartig überhaupt keinen Lehrermangel mehr. Der deutsche Philologenverband hält da natürlich dagegen, allerdings ergibt sich aus Sicht der Wissenschaft differenzierteres Bild: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/studie-dirk-richter-christin-lucksnat-quereinsteiger-sind-besser-als-ihr-ruf/. Der Autor vermutet eher, dass sehr viele Leute in ihrer Schulzeit die Erfahrung gemacht haben, dass allein das Staatsexamen noch keine didaktischen, pädagogischen oder fachlichen Kompetenzen testiert. Wir werden das aber in ein paar Jahren, wenn wir einen hohen Anteil an Quereinsteigern haben, genauer wissen. Der Autor vermutet, dass das Bildungsniveau durch Quereinsteiger nicht sinkt, Quereinsteiger aber einen gewaltigen Vorteil haben. Die kennen einfach aus eigener praktischer Erfahrung die Welt, auf die Schüler vorbereitet werden sollen und diese Welt ist eben nicht die Schule, sondern die Wirtschaft. Hier versucht also eine Berufsgruppe sich gegen Mobilität zu wehren.

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