staunen, nicht ärgern

Dialekte: Ein Thema, über das es schwierig ist, belastbare Aussagen zu machen.

Also den zweiten Teil mit dem Geist lassen wir mal weg, am ersten Teil, also da die Sprache das Gepräge der Eigentümlichkeit der Nation, kann was dran sein. Es ist gut möglich, dass eine Sprache, wie auch ein Dialekt, einen Text einfärbt. Das ändert zwar nichts am eigentlichen Sinn des Textes, aber das Kolorit kann die Aussage des Textes unterstützen oder eben konterkarrieren. Das ist umso mehr der Fall, wie etwa bei Gedichten, wo es weniger um eine Sachaussage geht, als um die Beschreibung einer subjektiven emotionalen Einstellung zur Welt. Wer also noch nie verstanden hat, was in der deutschen Klassik unter Einheit von Form und Inhalt verstanden wird, der kann sich das so klar machen. Ob ein Gedicht einen anderen Dreh bekommt, wenn es in eine andere Sprache überetzt wird, lässt sich schwer sagen und hängt wohl auch von der Übersetzung ab. Dass ein Gedicht einen anderen Dreh bekommt, wenn es in einen Dialekt übertragen wird, ist da schon nachvollziehbarer. Überträgt man den berühmten Anfang von Goethes Faust ins Schwäbische, dann wird sofort klar, dass das Ding einen anderen Dreh bekommt. (Zumindest den Leuten wird das klar, die des Schwäbischen mächtig sind. Von der Tatsache, dass die ganze Satzstruktur umgestellt werden muss, mal ganz abgesehen.)

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh‘ ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!

I han jetzt Philososphie,
Jurischerei ond Medizin
ond leider au Theologie
schtudiert mit heißem Bemühn.
Do stand i jetzt, i armer Tor
ond ben so schlau wie zuvor

Der Dialekt drückt also keinen Geist aus, aber er ist ein Stil und der Stil passt eben zur Aussage oder passt eben nicht. Das trifft umso mehr zu, je mehr sich die Aussage nicht auf konkrete, objektive Zusammenhänge bezieht, sondern auf eine subjektive Einstellung gegenüber der Welt. Dialekte haben ganz unstreitig ein Kolorit.

Was immer man unter Geist versteht, Humboldt definiert das ja nicht, es ist auf jeden Fall mehr als Stil, von daher können wir ausschließen, dass Sprachen einen besonderen Geist ausdrücken. Bezweifeln kann man aber auch, dass Sprachen ein spezifisches Kolorit haben. Der Autor würde sagen, dass z.B. die Deutsche übersetzung von Zossmann der berühmten Verse von Dante Alighieri so einigermaßen trifft.

Lo giorno se n’andava, e l’aere bruno
toglieva li animai che sono in terra
da le fatiche loro; e io sol uno

m’apparecchiava a sostener la guerra
sì del cammino e sì de la pietate,
che ritrarrà la mente che non erra.

O muse, o alto ingegno, or m’aiutate;
o mente che scrivesti ciò ch’io vidi,
qui si parrà la tua nobilitate.

—————————————–

Der Tag entwich, die Dämmerung brach ein;
Sie nahm den Wesen, die auf Erden leben,
All ihre Mühsal ab – und ich allein

Hielt mich bereit, das Ringen anzuheben
Mit Wegesmüh und Mitleid: hiervon sei
Getreulich ein Erinnrungsbild gegeben! –

O Musen, Himmelstöchter, steht mir bei;
Gedächtnis, das du schriebst, was ich gesehen,
Jetzt offenbare deinen Adel frei!

Wären Sprachen jeweils auf ein bestimmtes Kolorit festgelegt, wären ihre Ausdrucksformen beschränkt. Dem widerspricht allein schon die Tatsache, dass literarische Strömungen wie Barock, Romantik, Realismus etc. einen spezifischen Stil haben und Strömungen sind, die wir in allen Sprachen finden, zumindest in den Sprachen, die dem „westlichen“ Kulturkreis angehören. Folglich scheint in allen Sprachen eine weite Bandbreite an Stilen möglich zu sein.

Allerdings glaubt der Autor nicht wirklich, dass Dialekte bzw. Akzente, in anderen Sprachen ein derartig starkes Kolorit haben. Das scheint eine spezfisch deutsche Angelegenheit zu sein. Dieser Text z.B. stammt von einem argentinischen Autor und folglich haben wir ihn von einer Argentinierin einlesen lassen.

https://www.spanisch-lehrbuch.de/uebungen/level3_hoerverstaendnis/kurzgeschichten/juan_palazzo/seite_1/erster_teil.htm

Das ist jetzt ganz unstrittig der argentinische Akzent, was sowohl in der Aussprache wie auch in der Intonation unschwer zu hören ist. Damit bricht der Text aber nicht zusammen. Spanisch Muttersprachler würden jetzt feststellen, dass der Text mit einem argentinischen Akzent eingelesen wurde, aber die Wirkung bleibt dieselbe. Im Deutschen würde sich der Text verändern, wenn man das auf Schwäbisch umbaut.

Er kam immer zur selben Stunde, mit der Tasche auf seinen Schultern und einer Hand in der Tasche.
Seine Erscheinung gehörte zu jenen, die Mitleid erregen: so mager, buckelig, zwergenhaft.
———————-
Er isch immer um dieselbe Zeit komma, mit seiner Tasch über de Schulter ond oiner Hand in de Tasch.
Sei Erscheinung hot zu denne ghört, die Mitleid errege: so mager, bucklig, zwergehaft.

Des Weiteren wäre ein massiver Einsatz von Wörtern, die nur einem eng begrenzten Raum verwendet werden im Deutschen nicht möglich, bzw. würden den Text dann stark in Richtung Dialekt drücken. Im Spanischen jedoch ist das absolut üblich. Für La Casa Verde von Mario Vargas Llosa braucht man dann ein Wörterbuch des peruanischen Spanisch.
Im Detail ist aber auch das wieder schwierig. Der Autor dieser Zeilen erkennt zwar einige spanische Akzente, also die krassen wie das Spanische rund um Burgos oder das argentinische Spanisch erkennt er, aber bei weitem nicht, wie etwa ein Muttersprachler, alle. (Einfacher wird es natürlich, wenn man die regionlae Herkunft aufgrund des Vokabulars erschließen kann: Camión (eigentlich Lastwagen, aber in Mexiko Bus, jompa (Pullover, Bolivien und Peru), Gagua (Stadtbus, kanarische Inseln), mono (süß / drollig / hübsch, Nordspanien), chévere (toll, Kolumbien. Aber das Vokabular ist der Trivialteil der Angelegenheit.) Innerhalb der Akzente, die in den jeweiligen Länder Standard sind, gibt es aber noch Akzente, die auch in den jeweiligen Ländern nicht Standard sind, etwa el acento costeño in Kolumbien. Vermutlich gibt ein solcher nicht standardisierter Akzent Texten dann doch einen Dreh.

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