staunen, nicht ärgern

Der Nationalstaat, Eric Zemmour und Björn Höcke

Konstitutiv für das Nation Building, also die Idee, dass eine Nation mehr ist als eine Organisationseinheit zur optimalen Bewältigung administrativer und ökonomischer Aufgaben ist die Tatsache, dass die Nation diskriminieren muss. Es muss z.B. entschieden werden, wer wählen darf und wer die, so vorhanden, sozialen Sicherungssysteme in Anspruch nehmen darf. In der Nation verteidigt also ein bestimmte Gruppe ihre Interessen. Um diese Interessen zu legitimieren, braucht es nun etwas Spezifisches, was nur die Mitglieder dieser Gruppe besitzen.

(Woraus Milton Friedman schließt, dass man z.B. lediglich die sozialen Sicherungssysteme abschaffen muss, um die Probleme mit der Migration zu lösen. Dann ist die eine Gruppe nicht besser gestellt, als die andere, mit dem Ergebnis, dass es einerseits keine Rechte mehr gibt, die zu schützen wären und andererseits ein Anreiz zum Einwandern entfiele. Eric Lemour, der derzeit Marine Le Pen rechts überholt, siehe https://www.youtube.com/watch?v=ki1bw8TQLdU, argumentiert da weniger rein ökonomisch. Bei ihm soll die sozialen Sicherungsleistungen nur für Ausländer gestrichen werden. Das setzt voraus, dass man Menschen mit französischem Pass bestimmte Eigenschaften zuweist, die Leute mit einem anderen Pass eben nicht haben, so dass die Diskriminierung gerechtfertigt ist. )

Um die Kohäsion der Gruppe aufrecht zu erhalten, braucht es also einen Überbau, irgendwas, aus dem sich entnehmen lässt, dass die Gruppe spezifisch ist und die Gruppenmitglieder spezifische Eigenschaften haben. Das wiederum wird dann in Gesetze gegossen, was dann merkwürdige Kapriolen zeitigt, weil das, was konstitutiv für die Gruppe sein soll, schlecht formalisierbar ist. Da kann es dann z.B. passieren, dass jemand in Deutschland geboren ist, die Muttersprache Deutsch ist, er keinerlei Beziehungen hat zum Herkunftsland der Eltern, aber trotzdem ausgewiesen wird, weil die Eltern bei der Einreise ihre Identität verschleiert haben. Inhaltlich verfügt so jemand dann zwar über alle Eigenschaften, die konstitutiv für die Gruppe sind, aber formal eben nicht, weil es schwierig wird, das Vorliegen der notwendigen Eigenschaften zu formalisieren. Umgekehrt kann auch jemand formal zur Gruppe der Deutschen gehören, wenn er kein Wort Deutsch spricht, die Muttersprache Spanisch ist und er in Argentinien aufgewachsen ist, wenn der Opa ein Deutscher war und dies nachgewiesen werden kann.

Empirisch belastbar darstellen lässt sich auch, dass autoritäre Systeme nationalistischer sind als Demokratien. Für Demomkratien ist die geringere Kohäsion der einzelnen Gruppen konstitutiv, andernfalls bräuchte man ja keine Parteien. Autoritäre oder gar totalitäre Systeme behaupten einen einheitlichen Volkswillen, der ja nur bei hoher Kohäsion gegeben ist. Sie sind also mehr noch als Demokratien, daran interessiert, ein Identiät zu schaffen. In Kuba z.B. indem man versucht eine Identifikationsfigur wie José Martí zu schaffen, wobei allerdings die Rolling Stones wesentlich erfolgreicher sind.

Speziell in Frankreich, z.B. bei Eric Zemmour und Deutschland, speziell bei Björn Höcke, werden nun zwei Dinge vermischt. Über die z.B .Zinspolitik der EZB kann man diskutieren, auch wenn der Autor bezweifelt, dass es besonders intelligent wäre, bei den derzeitigen Inflationstendenzen die Zinsen wieder anzuziehen. Da es sich, derzeit, um externe Schocks handelt, würde eine Anhebung der Zinsätze lediglich zu einer geringeren Investitionsquote und damit höheren Arbeitslosigkeit führen; man kann auch darüber diskutieren, ob innerhalb der EU nicht dem Subsidiaritätsprinzip stärker Geltung verschafft werden sollte und man kann auch darüber diskutieren, wem der liberalisierte Verkehr von Waren, Kapital und Arbeit nützt; man kann auch über die Vorteile und Nachteile des Euro diskutieren und allgemein über die Vor- und Nachteile fester Wechselkurse. Das sind alles ökonomische Fragestellungen über die man unterschiedlicher Auffassung sein kann, die aber einer rationalen Betrachtung zugänglich sind.

Bei Leuten wie Eric Zemmour, siehe https://www.youtube.com/watch?v=_Aa4W4A2W20, oder Leuten wie Björn Höcke, https://www.youtube.com/watch?v=m0vJAC0ObbI, wobei Eric Zemmour intellektuell dann doch ein anderes Kaliber ist, werden diese Themen jetzt aber vermischt mit einem Narrativ über nationale Identitäten. Beide halten lange Vorträge über die glorreiche kulturelle, wissenschaftliche, künstlerische, literarische etc. der Vergangenheit der jeweiligen Nation, wobei die jeweiligen Anhänger auf diesem Gebiet nicht besonders bewandert sind. Unabhängig davon, gibt es mit diesem Narrativ noch zwei grundlegende Probleme. Leistungen, egal auf welchem Gebieter, setzen immer einen Vergleich voraus. Wenn also Zemmour / Höcke die jeweiligen Kulturen einzigartig finden, müssten sie diese vergleichen mit anderen Kulturen, was wiederum eine umfassende Kenntnis mehrerer Kulturräume voraussetzt. Die meisten kulturellen Entwicklungen sind nämlich gerade nicht einzigartig, sondern global. Zweitens bleibt unklar, wieso sich Individuen nicht das raussuchen sollen, was sie anspricht. (Von der Tatsache, dass sie das sowieso tun mal ganz abgesehen. Wir haben hier einen Narrativ, den Narrativ von der nationalen Identität, der offensichtlich mit der Wirklichkeit zwar nichts zu tun hat, aber offensichtlich zündet, wenn auch wahrscheinlich nur bei den Leuten, die gar keine Identität haben.)

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