staunen, nicht ärgern

Der Nationalstaat, Eric Zemmour und Björn Höcke

Wie kann man das skurrile Phänomen erklären? Nachvollziehbar ist, dass sich Menschen da am wohlsten fühlen, wo sie sich auskennen und das ist nun mal in der Regel die Gegend, wo sie einen gültigen Pass haben mit unbeschränkter Aufenthaltserlaubnis. Was zur Identifikation führt ist also nicht irgendetwas Spezifisches, sondern Vertrautheit. Nachvollziehbarerweise spielt hier die Sprache eine entscheidende Rolle. In der Regel, Ausnahmen bestätigen die Regel, wird in einer Nation eine Sprache gesprochen bzw. eine Sprache ist der gemeinsame Nenner. Wo dies nicht der Fall ist, bei den Kurden in der Türkei, bei den Katalanen in Spanien, den Uiguren in China, den Berbern in Algerien etc. etc. gibt es Probleme. Sprache ist tatsächlich so was wie Heimat. Werden Menschen aus dieser vertrieben, weil sie nicht anerkannt wird, kann es schon mal passieren, dass sie bewaffnet Widerstand leisten. In der deutschen Presse wird auch wesentlich ausführlicher über Österreich berichtet, also z.B. über Frankreich, weil in Österreich eben Deutsch gesprochen wird, das Land ist also vetrauter. Die Presse im deutschsprachigen Bereich der Schweiz berichtet ausführlich über Deutschland und der Autor vermutet, dass in der italienisch bzw. französischsprachigen Schweiz auführlich über Italien und Frankreich berichtet wird. Dass sich Staaten meistens solange ausdehnen, bis die Grenzen des Sprachgebietes erreicht sind, ist auch ökonomisch nachvollziehbar. (Wobei, siehe Schweiz, Ausnahmen die Regel bestätigen. Unterschiedliche Sprachräume können sich zur Abwehr eines gemeinsamen Feindes auch zusammenschließen.) Unterschiedliche Sprachen wären im Alltag ein echtes Hindernis.

Die Begeisterung für die Nation lässt sich also mit der Binse ganz gut erklären: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Es ist nachvollziehbar, dass man für das Vertraute eine engere Beziehung aufbaut, als zum Fremden. Naheliegend ist auch, dass es leichter ist, über das Fremde Mythen zu verbreiten, also über das Vertraute. Bei dem Vertrauten können die Leute ja eher nachprüfen, ob die Propaganda einen Wahrheitsgehalt hat oder nicht.

Würde beim Nationalismus bzw. Patriotismus spezifische Eigenschaften eine Rolle spielen, würde dies eine bewusste Auswahl voraussetzen, die der Nationalist bzw. Patriot aber nicht machen kann, da es ihm an Vertrautheit mit andere Kulturkreisen fehlt.

Soweit so schlicht. Wir fühlen uns erst mal in einem Umfeld wohler, wo wir uns auskennen. Daraus ergibt sich aber auch, dass die oft gemachte Unterscheidung zwischen Nationalismus, das ist der, der andere Nationen hasst, und Patriotismus, das ist der, der sein Land liebt, ohne andere zu hassen, de facto nicht existiert. Wer in diesem Kontext Liebe mit Vertrautheit verwechselt, ist manipulierbar. Die Grenzen zwischen Nationalismus und Patriotismus sind so fließend, dass sie de facto inexistent sind.

Verstärkt wird das Phänomen dadurch, dass alle Nationen über ihre jeweiligen Bildungssystem eine Identität SCHAFFEN wollen, was etwas ganz anderes ist, also Individualitäten zu entwickeln. Das gelingt zwar nicht, weil in der Neuzeit kulturelle Erscheinungen aller Art, Musik, Moden, Bellestristik, etc. globale Strömungen sind, aber versucht wird es trotzdem. Was dem einen sein Goethe, ist dem anderen sein Quijote, dem dritten sein Shakespeare, dem vierten sein Dante und dem fünften sein Racine und Molière. Gleichermaßen hoffnungslos sind die jeweiligen Versuche, Sprachen „rein“ zu halten. So was wie den „Verein deutsche Sprache“, https://vds-ev.de/, gibt es überall, in jeder Nation gibt es Besorgte, die die Reinheit der Sprache bewahren wollen.

Verstehen, kann man das Phänomen nicht, weder im Sinne von intersubjektiver Nachvollziehbarkeit noch in dem Sinne, dass man es rational nachvollziehen kann. Verstehen hat ja diese zwei Bedeutungen. Zum einen verweist es auf die intersubjekte Nachvollziehbarkeit, weil man ähnliches schon selbst erlebt hat und folglich eine Vorstellung von der Intensität der „Gefühle“ hat, zum anderen verweist es auf die rationale Nachvollziehbarkeit. Bei der Begeisterung für die eigene Nation gelingt aber weder das eine noch das andere und den Erglühten selbst ist wohl nicht ganz klar, was in ihnen vorgeht. Würde man z.B. die Fans der „Mannschaft“ fragen, warum sie zutiefst betrübt sind, wenn selbige verliert und berauscht, wenn selbige gewinnt, dann bekäme man als Antwort, dass man eben für „seine Mannschaft“ glüht, was ja nichts erklärt. Die Frage ist, warum man dafür glüht.

Der Autor dieser Zeilen glaubt ja nicht wirklich an das Unbewusste. Er würde sagen, die meisten Dinge, die unter diese Kategorie fallen, lassen sich mit ein bisschen Nachdenken und Introspektion bewusst machen. Beim Nationalismus bzw. Patriotismus haben wir allerdings tatsächlich etwas, was unbewusst abläuft. „Vertehen“ kann man das Phänomen nicht. Vermutlich könnte man anhannd statistischer Methoden Zusammenhänge aufdecken. Vielleicht korreliert Patriotismus / Nationalismus mit dem Bildungsgrad, das eine verhält sich umgekehrt proportional zum anderen. Die Angst vor dem Fremden nimmt vielleicht zu, wenn die persönliche Situation als bedrohlich eingeschätzt wird.

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