staunen, nicht ärgern

To the Lighthouse von Virginia Woolf

Mr Ramsay ist eingebunden in die konstruierte Welt, allerdings auf einem anderen Level als Charles Tansley. Treibt Mrs Ramsay die Sorge um, dass ihre Kinder in dieser Welt bestehen müssen, ihre Identität also nach Maßgabe der Welt konstruieren müssen um bestehen zu können, ist dies eben für Mr Ramsay genau das, was er von seinen Kindern erwartet. Während Mr Ramsay stolz wäre, wenn sein Sohn Andrew ein Stipendium bekommt, ist das für Mrs Ramsay völlig gleichgültig. Unabhängig davon scheitert Mr Ramsay auch in Bezug auf seinen Sohn, denn dieser fällt, von der Zeit verschlungen, im Krieg. Die Welt ist Begrenzung: Verblasste das Leben erstmal, wären die Möglichkeiten der Erfahrung unendlich.

„For now she need not think about anybody. She could be herself, by herself. And that was what now she often felt the need of—to think; well, not even to think. To be silent; to be alone. All the being and the doing, expansive, glittering, vocal, evaporated; and one shrunk, with a sense of solemnity, to being oneself, a wedge-shaped core of darkness, something invisible to others. Although she continued to knit, and sat upright, it was thus that she felt herself; and this self having shed its attachments was free for the strangest adventures. When life sank down for a moment, the range of experience seemed limitless. And to everybody there was always this sense of unlimited resources, she supposed; one after another, she, Lily, Augustus Carmichael, must feel, our apparitions, the things you know us by, are simply childish. Beneath it is all dark, it is all spreading, it is unfathomably deep; but now and again we rise to the surface and that is what you see us by. Her horizon seemed to her limitless. There were all the places she had not seen; the Indian plains; she felt herself pushing aside the thick leather curtain of a church in Rome. This core of darkness could go anywhere, for no one saw it. They could not stop it, she thought, exulting. There was freedom, there was peace, there was, most welcome of all, a summoning together, a resting on a platform of stability. Not as oneself did one find rest ever, in her experience (she accomplished here something dexterous with her needles) but as a wedge of darkness. Losing personality, one lost the fret, the hurry, the stir; and there rose to her lips always some exclamation of triumph over life when things came together in this peace, this rest, this eternity;“

„Sie musste jetzt an nichts mehr denken, konnte ganz sie selbst sein und das war es, wonach sie sich öfters sehnte: nachdenken oder, genauer, nicht mal denken, einfach nur ruhig sein, alleine sein. Alles sein und tun, was teuer, glänzend, lärmend, verblasste; man schrumpfte, erfüllt von einer Feierlichkeit, um ganz man selbst zu werden, ein keilförmiger Kern im Dunkeln, etwas, was die anderen nicht sehen. Obgleich sie aufrecht sitzend weiterstrickte, war es das, was sie fühlte. Dieses ganz Fürsichsein ließ alle Bindungen abfallen und machte den Weg frei für die merkwürdigsten Abenteuer. Verblasste das Leben erstmal für einen Moment, schienen die Möglichkeiten an Eindrücken schrankenlos und sie vermutete, dass alle über diese unendlichen Möglichkeiten verfügten: Sie, Lily, Augustus Carmichael mussten fühlen, dass unsere Erscheinungen, die Dinge die wir kennen, belanglos sind. Darunter herrscht Dunkelheit, alles verzweigt, abgründig tief. Doch immer wieder steigen wir empor zur Oberfläche und das ist es, wie man uns sieht. Ihr Horizont schien ihr unendlich, da gab es all die Plätze, die sie noch nie gesehen hatte: Landschaften in Indien oder wie sie einen Ledervorhang in einer Kirche in Rom beiseite schob. Dieser Kern in der Dunkelheit konnte überall hingehen, weil niemand ihn sieht. Sie können ihnen nicht stoppen, dachte sie frohlockend. Da war Freiheit, da war Friede und da war, am allerwichtigsten, ein Zusammenhalt, ein Verweilen auf einer stabilen Plattform. Alleine fand man, dies war ihre Erfahrung (sie vollbrachte hier ein geschickten Manöver mit den Nadeln) keinen Frieden, das war nur als Keil in der Dunkelheit möglich. Mit der Persönlichkeit konnte man sich auch von der Hetze, der Eile, der Aufregung lösen. Über ihre Lippen glitt ein Ausruf des Triumphs über das Leben, wenn die Dinge in diesem Frieden, dieser Stille und dieser Ewigkeit zusammenkamen.“

Ziel ist es also nicht, eine Identität zu konstruieren, sondern ein Bewußtsein dafür zu schaffen, dass eben diese Identität problematisch ist in einer durch und durch konstruierten Welt.

Wer an Virginia Woolf denkt, hat vor allem das tragischen Ende im Kopf, den Selbstmord. Die „Welt“ ist nicht Heimat, sondern Zurichtung und Konstruktion. Wer will, kann es auch eine entfremdete Welt nennen. Heimat ist im Deutschen ein ziemlich aufgeladener Begriff, wenn auch ganz und radikal anders, also wirklich ganz radikal anders, als die Deppen von der AFD sich das vorstellen. Heimat ist nicht die Konstruktion von Identität, sondern eine Welt, wo gar nichts mehr konstruiert werden muss. Ob Heimat das Ende einer Entwicklung ist, wie Ernst Bloch meint, oder etwas, was zu Beginn vorhanden war, aber verloren gegangen ist, kann man diskutieren. Eine Vorstellung davon, was es sein könnte, leuchtet in dem Roman immer wieder auf.

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