staunen, nicht ärgern

To the Lighthouse von Virginia Woolf

Das Werk von Virginia Woolf „To the Light House“ bewegt sich auf einer bestimmten Schicht des Bewußtseins. Die nachhaltige Prägung des Bewußtseins durch die konkete Lebenssituation wird nicht direkt bestritten, spielt aber eine untergeordnete Rolle. Das ganze Ding macht einen impressionistischen Eindruck. Wie im Impressionismus rücken Charaktere oder bedeutende, charakteristische Szenen, in den Hintergrund und akzidentelle Wahrnehmungen und deren Einfluss auf Stimmungen, Gedanken, Gefühle in den Vordergrund. Schickt man das voraus, relativiert also damit die folgende Aussage, könnte man sagen: Das Bewußtsein der Figuren schwimmt auf dem schimmernden Meer des wandelnden Bewußtseins, das eingebettet ist in die alles verschlingende Zeit. Die Zeit ist hierbei eine Naturkraft, symbolisiert durch den Wind, der durch das Haus schleicht und von diesem Besitz ergreift, der alles durchdringt, unerbittlich alle Vergangenheit tilgt. In Anbetracht der Ewigkeit der Zeit, verliert Kommen und Gehen seine Bedeutung. Dass Mrs. Ramsay und ihr Sohn stirbt, erfahren wir durch einen Nebensatz, der zweite Weltkrieg poppt kurz in Form eines deutschen Schiffes vor der Küste auf. Der traditionelle Roman ist geprägt von der „Welt“, bzw. deren Konstruktion. Die „Welt“ tritt aber in dem Roman völlig zurück. Die „Welt“ verlangt Konstanz, erzwingt eine Identität, die wir der „Welt“ entgegensetzen. Gegenstand des Romans ist aber das Bewußtsein, das von allen Zurichtungen befreit, auf dem schimmernden Meer der Zeit tanzt.

 

In Anbetracht der Unendlichkeit der Zeit, verliert die Möglichkeit, ein Leben willentlich zu konstruieren, an Bedeutung. Die „Welt“ erscheint nicht mal mehr als Bezugsrahmen, in dem irgendwas, Gegnerschaft, Hingebung, Sinngebung, moralische Werte, Ziele etc. konstruiert werden könnte. Was hiervon noch vorhanden ist, ist allerhöchstens eine Reminiszenz, der wenig Authentizität zukommt. Authentisch ist das Bewußtsein dann, wenn es sich ganz fallen lassen kann, die Welt zurück tritt.

Eingeteilt wird die Zeit durch den Leuchtturm, einer von Menschen geschaffenen Einrichtung. Er steht für irgendwas, aber nicht für Sinn. Wir haben zu der Konstellation, die wir im Roman antreffen, also z.B die Ehe von Mr. Ramsay mit Mrs Ramsay, wieso die Ramsay auf der Isle of Skye Bekannte und Freunde einladen, wie diese heterogene Truppe sich getroffen hat, Lily Briscoe, Charles Tansley, William Bankes, Augustus Carmichael sind völlig verschiedene Typen etc.., bleibt völlig unklar, können aber dahinter den Versuch erkennen, Leben zu konstruieren, eine Identität zu schaffen, die aber zurücktritt, wenn das Leben keine unmittelbaren Forderungen mehr stellt. Die Möglichkeit Sinn zu konstruieren, wird nicht mal mehr diskutiert. Die Frage ist eine ganz andere: Was passiert, wenn das Leben mit seinen Anforderungen zurück tritt?

In der Schicht des Bewußtseins, der im Fokus des Romans steht, haben wir sowenig Prinzipien, Wertvorstellungen, Ziele wie das Licht im Impressionismus, dessen Schattierungen wir folgen können, die wir aber nicht konstruieren. Es wird der Realität keine Identität mehr entgegengesetzt, sondern diese verschwimmt in einem sich ständig verändernden großen Gemälde. Möglich, dass auf dieser Ebene alles authentischer ist, als in der Zurichtung, die die Realität erzwingt. Wenn wir Authentizität als Wert an sich, als bereichernd auffassen wollen, hätte der Roman sogar eine „message“. Die Utopie wäre dann eine Welt, wo wir uns fallen lassen können, anstatt einer Welt, die wir, mit zweifelhaftem Ergebnis, seit ein paar Tausend Jahren zurichten. Man kann in dem Werk jetzt eine tiefe Desillusionierung sehen. Man kann es aber auch genau anders rum sehen. Es eröffnet einen ganz neuen Raum. Es ist wohl kaum Aufgabe der Kunst, konkret zu erklären, wie man in den von ihr erschlossenen Möglichkeitsraum kommt. Es reicht, ihn zu zeigen, für die Frage, wie man da hin kommt, sind dann andere Leute zuständig. Aufgabe der Kunst ist es, das Niveau zu setzen.

Zumindest der Autor dieser Zeilen hat keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass sich Virginia Woolf irgendwie, sagen wir mal „konstruktivistisch“, mit der Welt auseinandergesetzt hätte, was für eine enge Freundin von John Maynard Keynes erstaunlich ist. So gesehen geht der Roman eher in Richtung Gedicht, einer Form, die eher in der Lage ist, einen Moment authentisch festzuhalten. Romane tendieren dazu, um die handelnden Personen herum auch noch gleich eine ganze Welt zu konstruieren. In The Waves, also vier Jahre später, haben wir dann tatsächlich eine lyrische Prosa.

Es gibt eine Figur in dem Roman, Charles Tansley, die auch in einem traditionellen Roman auftauchen könnte, bei der also eine Identität, die sich behaupten will, auf eine Realität trifft. So Figuren gibt es massenhaft in der Literatur, Julien Sorel in Le Rouge et le Noir von Stendhal, Dietrich Hessling in Der Untertan von Heinrich Mann, Alfonso Nieti in Una Vita von Italio Svevo, etc. etc. Die Figur ist auch ganz klassisch gezeichnet, der stream of consciousness, bei Mrs Ramsay zeigt sich hier, wenn sie Gelegenheit dazu hat, die Weltabgewandheit, fehlt bei ihm völlig. Im Gegensatz zu den anderen Figuren des Romans, über deren Vergangenheit wir fast nichts erfahren, wissen wir von ihm, dass er eher bescheidenen Verhältnissen entstammt, früh für sich selber sorgen musste, was ihm allerdings, da er diesen Tatbestand immer wieder betont, ihm wenig Sympathie bei den Kindern des Ehepaars Ramsay einbringt noch sein Ansehen bei Mr Ramsay, der als Professor seine akademischen Arbeiten begutachtet, sonderlich steigert. Mr Ramsay hält ihn eher für geistig etwas beschränkt. Er wird als unwirsch, pedantisch, humorlos beschrieben und bekommt von den Kindern den Spitznamen Atheist, was auf eine desillusionierte Weltsicht schließen lässt. Der Roman schildert nicht, dass die unsympathische charakterliche Grobheit und die Fokusierung das Resultat seiner Vergangenheit ist, was ja eine Möglichkeit wäre, und das kommt Mrs Ramsay auch nicht in den Sinn, aber sie begegnet ihm mit Wohlwollen. Über seine akademischen Arbeiten weiß sie nur, dass er sich mit dem Einfluss von irgendwas auf irgendwas beschäftigt, also eher mit Dingen, die im kleinteiligen, bornierten akademischen Getriebe die Aussicht auf eine Festanstellung ermöglichen, als mit tatsächlich bedeutenden Dingen. Das wohlwollende Entgegenkommen von Mrs Ramsay sorgt aber auch bei ihm für eine „Abrüstung“, für das Zulassen von Gefühlen. In ihrer Nähe kann er sich ein Stück weit fallen lassen, wird akzeptiert, so wie er ist, weil da, wo er brilllieren will, in der Welt von Mrs Ramsay gar keine Rolle spielt.

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