Woran Harry Haller letztlich leidet, bleibt etwas unklar, bzw. ist nichts, was wir nicht unter Alltäglich verbuchen könnten. Der Steppenwolf ist nicht richtig suggestiv. Vermutlich plagt ihn eher Langeweile. So was soll es geben. Konzediert sei, dass die Verzweiflung Harry Hallers einfühlsam geschildert ist, es bleibt nur etwas unklar, worin diese eigentlich besteht. Wir erfahren nur sehr vage, dass er unter einer Verflachung der Kultur leidet, sein Pazifismus ihn in Opposition zur Gesellschaft bringt und er die Technik als Gefahr betrachtet. Also drei Probleme, von denen er nur höchst abstrakt persönlich betroffen ist.
Wir haben im Faust zwar unendlich viele aphorismenartig vorgetragen Beschreibungen der conditio humana, aber nichts davon ist für Faust ein Problem. Sein Problem ist sein unbedingtes, durch nichts zu stillendes Verlangen. Es geht eben nicht darum, wie im Steppenwolf, irgendwelche seelischen Spannungsfelder aufzulösen. Das genau Gegenteil ist der Fall. Diese Spannungsfelder werden als Motor der Geschichte begriffen. Der Wille Gottes wird nicht dadurch erfüllt, dass jemand findet, was er sucht, sondern dadurch, dass der utopische Horizont ständig weiter verschoben wird. Erst ganz am Schluss, wird ein Ankommen angedeutet.
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht‘ ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
So suggestiv es sein mag, Parallelen zwischen Goethes Faust und dem Steppenwolf von Herman Hesse zu sehen, tatsächlich gibt es eigentlich kaum Parallelen zwischen diesen beiden Werken. Der Steppenwolf ist die Beschreibung eines Einzelschicksales, dessen Wahrnehmung der Welt durch eine depressive Grundstimmung geprägt ist. Im Faust geht es um den Möglichkeitsraum, den nur der Mensch entfalten kann, weil Gott offensichtlich, wie er schon im Prolog des Himmels indirekt konzediert, keinen Plan hat, wohin die Reise gehen soll.
Didaktisch gesehen ist der Ansatz also eher ungünstig und vermutlich die Verwirrung am Schluss perfekt. Der Steppenwolf ist an die konkrete Lebenssituation von Schülern nicht anschlussfähig, seine Probleme weitgehend unklar. Der Vergleich verbaut aber geradezu das Verständnis von Goethes Faust, denn der Vergleich kann nur gezogen werden, wenn man Goethes Faust gründlich nicht versteht.