staunen, nicht ärgern

Steppenwolf von Hermann Hesse, Goethes Faust, Easy Rider und ganz langweilig: Didaktik der Literatur

Ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

Der Harry hat eine etwas abstrakte Beziehung zur Welt und seine Gedanken drehen sich etwas allzusehr um sich selbst. Den empfundenen Konflikt zwischen „Hochkultur“ und der als Untergang des Abendlandes empfundenen Popkultur sieht der Autor auch nicht so richtig, zumal sich bei Harry Haller zu dieser Dichotomie auch noch der Verdacht gesellt, dass die Hochkultur eben nur noch als Tauschwert existiert, also von jeder konkreten Welterfahrung abgeschnitten ist. Darüber hat der Autor dieser Zeilen mal einen längeren Essay geschrieben, siehe https://www.die-geisteswissenschaften.de. Also der Spaß, die Vermittlung des „Geistes“ kostet ordentlich Steuergelder. Da stellt sich dann schon mal ganz konkret die Frage, was eigentlich das Ziel ist, wie man selbiges misst und welche Relevanz der Geist überhaupt hat. In Anbetracht der Geschichte dieser unserer Republik und bei 18 Prozent AFD Wählern, kann man sich schon mal die Frage stellen, was da an der Penne eigentlich passiert. Die AFD hat es ja mit deutscher Kultur, die unter dem Ansturm fremdrassiger Horden dem Untergang geweiht ist. Die deutsche Kultur ist da wohl ein Sammelsummerium von Dichterfürsten, die die Jungs und Mädels nie gelesen haben und für die Entgeistung des Geistes brauchen wir keine fremdrassigen Horden, das schaffen die Oberstudienräder, das Goethe Institut, die Beauftrage für Kultur und Medien, die Kultusministerkonferenz, Sonntagsreden von irgendwelchen schöngeistigen Bundespräsidenten und was es sonst noch Staatstragendes gibt, glatt im Alleingang.

Im Jahre 2019 war der Steppenwolf, zusammen mit Goethes Faust, Abiturthema. Das führt natürlich sofort zu einer Flut an Lektürehilfen der üblichen Verdächtigen, Klett, Cornelsen, Westermann, damit a) ein Erwartungshorizont etabliert werden kann und b) abgeprüft werden kann, in welchem Umfang diesem in der Klausur entsprochen wird. Das stellen sich dann natürlich ganz grundsätzliche Fragen. Warum soll man überhaupt bewerten, ob dem Erwartungshorizont entsprochen wird? Das wäre dann sinnvoll, wenn der Entsprechung des Erwartungshorizontes noch irgendwas anderes entspräche, zumindest in einem statistisch relevanten Umfang. Der Staat oder die Gemeinschaft kann ein Interesse an Individuen haben, die sich intensiver an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligen können und wollen, empathiefähiger sind, soziale und psychische Konflikte schärfer erkennen, inspierend für ihre Umwelt sind, auf komplexe und schwierige Lebenssituationen kreativer und ungewöhnlich reagieren oder was auch immer. Allerdings spricht wenig dafür, dass der Zielerreichungsgrad steigt, wenn irgendwelchen Erwartungshorizonten entsprochen wird. Wenn wir mal mit dem Hammer philosophieren wollen. Der Konflikt, der zum rude goodbye führte, die Reduzierung von Bildung zum Kanon, dürfte 1927 und davor weit verbreitet gewesen sein. Weder hat dieser Kanon, bei dem Bildung zum reinen Tauschwert mutiert ist, die Begeisterung breiter Schichten des „Bildungsbürgertum“ für den ersten Weltkrieg verhindert noch eine breite Opposition entstehen lassen gegen den zweiten Weltkrieg. Die Liste der Versager ist lang. Reicht von Manifest der 93, https://de.wikipedia.org/wiki/Manifest_der_93 bis Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler, https://de.wikipedia.org/wiki/Bekenntnis_der_deutschen_Professoren_zu_Adolf_Hitler. Insofern ist die Stelle, der Professor hält ja anfangs den Vaterlandsverräter Harry Haller für lediglich einen Namensvetter und vermutet nicht, dass er eben jenen Vaterlandsverräter Harry Haller vor der Nase hat, in der Rückschau richtig, das Werk ist 1927 erschienen, wie auch zukunftsbezogen für eine korrekte Analyse. Der Erwartungshorizont vereinfacht die Aufgabe der Oberstudienräder. Es gibt etwas, was sich strukturiert vermitteln lässt oder das man zumindest auswendiglernen und dann abfragen kann, wobei die Anschlussfähigkeit an die Lebenswirklichkeit der Adressaten keine Rolle spielt. Bei Kunst aller Art, Musik, Literatur, Malerei etc. läuft das normalerweise umgekert. Ist Kunst nicht anschlussfähig, trifft also den Nerv der Zeit und auch nicht den Nerv der Zeit kommender Generation, dann bleibt sie schlicht wirkungslos. Niemand interessiert sich dafür.

Es gibt naheliegenderweise Dinge, wo man bewerten muss. Eine Zulassung als Arzt sollten sehr naheliegenderweise nur Leute erhalten, die über entsprechende Kenntnisse verfügen, man sollte keine Elektriker auf die Menschheit loslassen, wenn die Gefahr besteht, dass dieser den Herd an ein normales Stromkabel anschließt und damit die ganze Wand zum glühen bringt. Man kann auch diskutieren über den Unterschied zwischen Lizens und Zertifizierung. Hinsichtlich der Geisteswissenschaften erschließt sich aber nicht, inwiefern die Öffentlichkeit gefährdet ist, wenn dem Erwartungshorizont nicht oder nur ungenügend entsprochen wird. Man kann, wie Harry Haller das tut, aus unterschiedlichen Gründen die Meinung vetreten, dass „Kultur“, wie immer man das jetzt genau definiert und welche Ziele damit auch immer verbinden sind, einen Wert hat. Fraglich ist nur, mit welchem didaktischen Ansatz eben diese vermittelt werden kann.

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