staunen, nicht ärgern

Steppenwolf von Hermann Hesse, Goethes Faust, Easy Rider und ganz langweilig: Didaktik der Literatur

In beiden Werken wird der Selbstmord thematisiert, bzw. in beiden Werken fassen die Protagonisten den Entschluss, wobei er in beiden Werken nicht verwirklicht wird, sich von dieser Welt zu verabschieden.

In beiden Werken wird die Kriegsbegeisterung thematisiert, die vor allem dann besonders ausgeprägt ist, wenn man nicht direkt betroffen ist.

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

Beide, sowohl Faust wie auch Harry Haller stehen auf Kriegsfuss mit dem akademischen Betrieb, insbesondere im Bereich Geisteswissenschaften. Vertreten werden die Repräsentanten des akademischen Betriebs im Leerlauf, durch den professoralen Kollegen Harry Hallers aus früheren Tagen im Steppenwolf und durch den Famulus Wagner in Goethes Faust. Die beiden ähneln sich insofern, als die Inhalte ihre akademischen Tätigkeit beliebig sind und was beliebig ist, ist eben nun mal nicht bedeutsam oder mit Adorno, sie haben ein neutralisiertes Bewußtsein, dem es egal ist, woran es sich begeistert oder anders formuliert, ein intensiveres Erleben erwarten sie gar nicht.

Dass diesem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immer nur an schalem Zeuge klebt,
Mit gieriger Hand nach Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

Was man jetzt von Kultur erwarten kann, schärfere Wahrnehmung der Wirklichkeit, intensiveres Erleben, größere Fähigkeiten sich gesellschaftlich einzubringen, besseres Erkennen von Problemlagen, ungewöhnliches aber zielführendes Verhalten, Offenheit für Neues, Empathiefähigkeit etc. etc. können wir dahin gestellt sein lassen, weil man unschwer einsieht, dass die Beschäftigung mit beliebigen Inhalten, unabhängig davon, was das Ziel ist, nicht zielführend ist und sich ganz massiv die Frage stellt, warum der Steuerzahler den Einfluss von x auf y und von y auf x finanzieren soll. Allerdings steht Wagner noch am Beginn seiner Karriere, in Faust II begegnet er uns wieder, und durchläuft eine Phase, während Harry Hallers Kollege sich zum perfekten Spießbürger entwickelt hat und die Entwicklung abgeschlossen ist. Wagner durchläuft also eine Entwicklung, die der Faust schon hinter sich hat.

Sowohle Faust als auch Harry Haller haben ein ambivalentes Verhältnis zum Bürgertum. Zum einen stehen sie außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, zum anderen fühlen sie sich in ihrer Desorientiertheit von dieser angezogen.

Damit enden dann aber auch die Parallelen. Mal abgesehen davon, dass im Faust ein weit breiteres Spektrum an Themen abgewickelt wird, z.B. haben wir dort eine inhärente Sprachkritik, siehe https://theatrum-mundi.de/sprachkritik-in-goethes-faust/, stellt das ganze Werk eine ganz entscheidende Frage: Wann ist eigentlich Ankunft? Diese Dimension fehlt im Steppenwolf völlig. Verständlich ist Goethes Faust nur vor dem Hintergrund, dass Gott keinen Plan hat, wohin die Reise gehen soll und der Faust mal alle Möglichkeiten durchtesten soll, weswegen Gott ihn ja als seinen Knecht bezeichnet.

DER HERR:
Kennst du den Faust?
Mephistopheles:
Den Doktor?
DER HERR:
Meinen Knecht!
Mephistopheles:
Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gärung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne
Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

Der Faust ist ein Weltdrama und nicht, wie der Steppenwolf, die Beschreibung eines Einzelschicksals. Es geht im Faust nicht darum, dass ein Individuum sich seiner zwei oder mehr Seelen bewusst wird, sondern dass die Möglichkeiten der Welt offenbart werden. Diese grundlegend andere Konstellation bewirkt natürlich auch, dass Mephistopheles und Hermine völlig anders zu bewerten sind. Mephistopheles will zwar auch, dass Faust “ losgebunden, frei, erfahre, was das Leben sei“ und einen Moment des Glücks erlebt, allerdings mit dem Hintergedanken, dass Faust dann die Wette verloren hätte.

Hörst du mich zum Augenblicke sagen
verweile doch du bist so schön
dann magst du mich in Ketten schlagen
dann will ich gern zu Grunde gehen

Dieser Moment fehlt im Steppenwolf völlig. Hermine ist nicht mit einer weltgeschichtlichen Mission unterwegs, allerdings bleibt auch die Figur der Hermine etwas dunkel. Der Roman beschreibt zwar eine Seelenverwandschaft zwischen den beiden, erklärt aber nicht, worin diese denn nun konkret besteht. Sie stellt nicht, wie Mephistopheles, ein Prinzip dar. Mephistopheles ist schlicht der Vertreter des Nichts und wenn Mephistopheles ein Teil des Teils war, der anfangs alles war und das sich dann das Licht gebar, dann ist der Faust eben der Vertreter des Lichts, das sich dem Nichts entgegenstemmt.

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.
Und doch gelingst ihm nicht, da es, soviel es strebt,
verhaftet an den Körpern klebt:
Von Körpern strömts, die Körper macht es schön,
ein Körper hemmt’s auf seinem Gange;
so, hoff ich, dauert es nicht lange,
und mit den Körpern wirds zugrunde gehn.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert