Gepriesen wird, dass online Sprachkurse ortsungebunden sind, weil man das Smartphone ja eh immer dabei habe. Wem dieser Blödsinn einleuchtet, der hat dann auch Probleme mit Grammatik, das ist nachvollziehbar. Bücher haben ganz grundsätzlich die Eigenschaft, überall mithin geschleppt werden zu können und überall zu jedem Zeitpunkt kann man sie aufmachen. Eine Verbtabelle von Pons oder Langenscheidt passt sogar in eine Hosentasche und in selbige sollte man reinschauen, bevor man die Kästchenübungen im Smartphone macht, denn sonst gibt es dort nix, was man sinnvoll ausfüllen kann. Noch praktischer ist im übrigen ein Bleistift und ein Blatt Papier. Da kann man dann die Vokabeln draufschreiben, lernen und anschließend das Papier im Papierkorb entsorgen. Zwar hat das Papier keinen Clickbutton, aber man kann die fremdsprachige Vokabel auch einfach mit der Hand zudecken. Papier lässt sich solange falten, bis es schlicht überall hinpasst.
Unter diesen Auspizien ist es auch kaum verwunderlich, dass die Jungs und Mädels von der online Sprachenfront mit Grammatik hadern, wobei unklar ist, was sie damit überhaupt meinen, wobei online Sprachkurse, egal ob synchron oder asynchron, schlussendlich nichts anderes sind, als ganz traditionelle Sprachkurse, nur eben laienhaft. Grammatik ist erstmal die abstrakte Beschreibung der Sprache als objektiv vorliegender Struktur, abstrahiert also erst mal vom Subjekt, welches die Sprache hervorbringt, was natürlich schlecht ist. Dadurch erscheint Grammatik als ein mehr oder weniger willkürliches Regelwerk, dass man einfach nur auswendig lernen muss. Didaktisch geschickter wäre es, wenn man beschreiben würde, dass sich grammatikalische Strukturen aus der Art ergeben, wie das menschliche Gehirn die Welt verbal darstellen will. Das ist, Achtung!!, Werbeeinblendung!!, das, was wir in unseren Sprachportalen versuchen. So gesehen ist Grammatik der Schlüssel zum Verständnis aller Sprachen. Wer also eine (indogermanische) Sprache lernt, lernt gleichzeitig noch ein paar andere mit. Das present perfect continuous zum Beispiel gibt es auch im Portugiesischen. Der pretérito perfeito composto des Portugiesischen ähnelt zwar nicht dem formgleichen pretérito perfecto im Spanischen, dafür aber dem present perfect continuous. Beschreibt also eine Handlung, die bis in die Gegenwart andauert. Die Relevanz für die Gegenwart erzwingt den pretérito perfeito composto nicht, dafür reicht der pretérito perfeito simples. Um mal ein Beispiel zu nennen, man kann mühelos Hunderte andere Beispiel anführen.
Der nächste ständig wiedergekaute Kalauer ist der Irrtum mit der Muttersprache. Das Biest ist nicht auzurotten. Hypostasiert wird, dass die Muttersprache ganz mühelos gelernt wurde und folglich es auch möglich sein müsse, eine Fremdsprache ähnlich mühelos zu lernen. Der erste Irrtum besteht in der Annahme, dass die Muttersprache mühelos gelernt wurde. Kinder im Vorschulalter können etwa 2500 Wörter. In fünf Jahren 2500 Wörter ist eine denkbar schlechte Performance, vor allem wenn man bedenkt, dass Kinder bis zu diesem Alter einen Intensivkurs von Mutter, Vater, Oma, Opa, Onkel und Tante bekommen haben. 14 Stunden am Tag. Ein Erwachsener kann mit ein bisschen Training, nachdem er halbwegs mit der Phonetik der Fremdsprache vertraut ist, etwa 30 Wörter am Tag lernen, hat also 2500 Wörter in drei Monaten. Der Erwachsene ist allerdings klar im Vorteil. Zumindest bei Wörtern, die sich auf konkrete Objekte beziehen, ist eine 1 zu 1 Übersetzung möglich. Er muss sich also die Bedeutung nicht mehr aus dem Zusammenhang erschließen. Wer also eine Fremdsprache lernen will, wie seine Muttersprache, der wird sie nie lernen. Erwachsene profititieren auch davon, dass eine Transferleistung möglich ist. Auch ohne grammatikalische Vorkenntnisse erschließt sich jedem Deutsch Muttersprachler, dass das Perfekt nach dem Schema haben / sein als Hilfsverb + Partizip Perfekt des Vollverbes gebildet wird. Möglich, dass ihm die Begrifflichkeiten unbekannt sind, also wenn er nie eine Schule von Innen gesehen hat, aber das Schema ist ihm bekannt und er wird erkennen, dass die Fremdsprache zumindest formal genauso funktioniert. Zu dieser Transferleistung sind Kinder nicht fähig, der Ratschlag, auf eben diese Transferleistung zu verzichten, ist irrsinnig.
Die Aversion der Leute gegen Grammatik dürfte in der Art liegen, wie diese in der Schule vermittelt wird. Schulische Grammatikvermittlung fokusiert auf einzelne Aspekte der Grammatik einer Fremdsprache, die bis ins Detail durchdekliniert werden und dann in schriftlichen Prüfungen abgefragt werden. Da dies keinen Sinn macht, erschließt sich niemandem der Sinn von Grammatik. Sinnvoller wäre es, man würde zuerst OBERFLÄCHLICH eine Überblick über das Gesamtsystem geben. Also nicht den subjonctif in allen Feinheiten, also nicht, dass espérer im Französischen, im Gegensatz zu allen anderen romanischen Sprachen, den subjonctif nur bei verneinten Sätzen verlangt. Das ist auch eher ein lexikalisches, als ein grammatikalisches Problem. In dem Maße, in dem eine Struktur keinem einheitlichen Muster folgt, wird es zum lexikalischen Problem. Es muss vor allem darum gehen, möglichst schnell einen Gesamtüberblick über das gesamte System zu erhalten. Also Verwendung der Zeiten, Zeitenfolge, Modus, Pronominalsystem, Flexionen, Satzstellung, Syntax etc… In der Lebenswirklichkeit, das heißt außerhalb der Schule, ist man sofort mit dem Gesamtsystem konfrontiert, beherrscht man dieses, ist ein passives Verständnis, hörend oder lesend, möglich. Der Muttersprachler verwendet immer das Gesamtsystem. Es nützt jetzt wenig, wenn man alle unregelmäßigen Partizipien kann, aber keinen Imperfekt. Besser ist es, man kennt zwar nicht alle Partizipien, dafür aber den Imperfekt aller unregelmäßigen Verben, weil der Muttersprachler auch diesen benutzen wird. Ist er prinzipiell bekannt, läßt sich in der Regel auch die Bedeutung erraten. Vorrang hat hierbei immer das passive Verständnis, die aktive Nutzung ergibt sich dann. Hat man mal in einer Sprache gelernt, sich rasch einen Überblick zu verschaffen über das Gesamtsystem und die wesentlichen Strukturelemente, wird man diese Fähigkeit beim Erlernen jeder x-beliebigen Sprache nutzen können. Man wird also in jeder Sprache relativ schnell an einen Punkt kommen, wo diese zumindest passiv verstanden wird. Schulen gehen exakt umgekehrt vor. Sie fokusieren auf Details und auf die korrekte Anwendung, die wiederum in schriftlichen Prüfungen, die im realen Leben weniger bedeutsam ist als die mündliche Kommunikation. (Was im übrigen noch den Effekt hat, dass die Aussprache bei der schulischen Sprachvermittlung nur eine untergeordnete Rolle spielt.) Das Vorgehen der Schulen erklärt sich aus der Tatsache, dass mindestens genauso relevant wie die Wissensvermittlung die Messung des Wissenstandes ist. Das ist eine typische Marotte des Schulsystems, die in diesem Fall zu Lasten der Wissensvermittlung geht, weil nur ein eng abgegrenztes Thema mit einem spezifischen genau definierten Wortschatz und vorher festgelegtem Umfang an Formen tatsächlich gemessen werden kann. Das erklärt den Stellenwert, der Grammatik zugemessen wird. So wie es in der Schule betrieben wird, ist sie tatsächlich nutzlos.