staunen, nicht ärgern

Sprache und Denken

Anderes, einfacheres Beispiel.

Auch der Begriff Freiheit zielt auf eine Assoziationswolke. Und auch hier gibt es wieder die oben bereits beschriebenen Möglichkeiten.

1) Ein wohl behütetes Kind hat über den Begriff noch nie nachgedacht, weil es keine Veranlassung gab, darüber nachzudenken. In diesem Fall kann kein Denken einsetzen. Der Begriff ist schlicht sinnlos.

2) Es liegt eine Erfahrung, etwas die Erfahrung mit dem Wehrdienst bzw. einem Wehrersatzdienst. Dann herrscht eine Vorstellung darüber, was Freiheit nicht ist.

3) Man hat über den Begriff der Freiheit schon nachgedacht, etwa bei der Lektüre von Hayek, dann ist Freiheit allgemein die Abwesenheit von Zwang.

4) Man hat John Stuart Mill gelesen. Dann ist Freiheit nicht nur die Abwesenheit von Zwang, sondern auch die Fähigkeit, aus mehreren Handlungsoptionen zu wählen, wobei die Fähigkeit dies zu tun, wiederum vom Horizont abhängt und die Erweiterung desselben eine staatliche Aufgabe sein kann.

Auch der Begriff Freiheit zielt also auf eine Assoziationswolke. Wir reagieren auf diesen Begriff, bzw. haben eine Meinung dazu, bevor wir das, was der Begriff bedeutet, sprachlich objektivieren, also für Außenstehenden wahrnehmbar machen.

Der Zeiger auf die Assoziationswolke muss aber nicht notwendigerweise ein sprachliches Zeichen sein. In der Taubstummensprache z.B. sieht Freiheit so aus#

https://signdict.org/entry/242-freiheit/video/1878

Kaum anzunehmen, dass bei Taubstummen die Prozesse grundsätzlich anders laufen, als bei den Leuten, die Schallwellen erzeugen und wahrnehmen können. Interessant wäre lediglich zu wissen, ob Taubstummen eher mit dem geschrieben Wort Freiheit auf die Assozionswolke zielen oder mit einer Gebärde.

Allgemein: Sprache erlaubt es uns, Bewußtseininhalte zu fixieren, wobei es ein komplexer Misch ist. Oft differenziert die Sprache aufgrund des Kontextes, manchmal aufgrund der Intensität.

Die Wörter sich ängstigen, sich sorgen, sich fürchten treffen z.B. keine Unterscheidung bzgl. der Intensität der Emotion. Die hormonellen Wirkungen auf den Körper dürften bei allen drei Bewußtseinszuständen die gleichen sein, aber der Kontext ist ein anderer. Wer sich sorgt, der hat eine konkrete Gefahr im Blick, was bei ängstigen nicht der Fall ist. Wer nachts durch den Wald läuft und ein Geräusch im Busch hört, der sorgt sich nicht, der ängstigt sich. Wer allerdings merkt, dass sein Arbeitgeber bald Pleite macht, der macht sich sorgen, ängstigt sich aber nicht. Der Unterschied zwischen ängstigen und fürchten wiederum ist rein grammatikalischer Natur. Ängstigen braucht kein Objekt, fürchten schon: Sie fürchtet sich vor der Einsamkeit. <=> ~ Sie ängstigt sich, vor der Einsamkeit.

In bestimmten Kontexten drückt herrlich eine größere Intensität aus als schön: Ein schönes Wetter. <=> Ein herrliches Wetter.

Bewußtseinsinhalte können aber auch stumm bleiben, wenn es keine Wörter dafür gibt. Zwischen einer Furcht vor dem Eintritt eines unangenehmen Ereignisses und dem Horror, wenn die ganze Welt ganz prinzipiell unbeherrschbar erscheint, besteht eine gewaltiger Unterschied. Deshalb heißen die die entsprechenden Filme ja auch Horrorfilme. Horrorfilme zeigen eine Welt, die fundamental nicht mehr beherrschbar ist, die Subjekte Kräften ausgesetzt sind, gegen die kein Gegensteuern mehr möglich ist. Trotzdem fehlen die entsprechenden Adjektive. Die Menschen, die im Nationalsozialismus in Konzentrationslager geschickt wurden, waren nicht ängstlich oder besorgt. Das war der Horror. Das war eine ganz andere Liga. Normalerweise schafft die Sprache für neue Bewußtseinsinhalte auch neue Wörter. Ständig und am laufenden Meter. Sprachlos scheint die Sprache offensichtlich erst dann zu werden, wenn etwas auch unvorstellbar ist. Sprachlos ist also kein Problem der Sprache. Die Sprache ist da recht flink. Kommt etwas neues in die Welt, dann dauert es in der Regel nicht lange, bis es auch ein Wort gibt dazu. Übersteigt der Bewußtseininhalt allerdings das Fassungsvermögen, dann entstehen auch die entsprechenden Wörter nicht. Auf diese Bewußtseinsinhalte ist dann, zumindest mit einzelnen Wörtern,  kein Zugriff mehr möglich.

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