Hiervon unterscheidet Wicksell den Marktzins, der von der Zentralbank nach Maßgabe makroökonomischer Einschätzungen festgelegt wird. Derzeit und seit 2008 ziemlich nahe bei Null.
Ein Auseinanderklaffen des natürlichen Zinses und des Marktzinses soll nun, so Wicksell, zu folgender Situation führen. Ist der Marktzins geringer als der natürliche Zins, wird zu wenig gespart und zuviel konsumiert. Das heißt die Nachfrage übersteigt das Angebot, es kommt zu inflationären Tendenzen, die erst dann gestoppt werden, wenn die Preise den Konsum eindämmen, bzw. die Unternehmensgewinne also Folge hiervon steigen, so dass die Unternehmen die nötigen Erweiterungsinvestionen aus eigener Kraft stemmen können und nicht auf Kredite angewiesen sind. (Oder wenn die Zentralbanken qua Zinserhöhung die Sparquote erhöhen.) Umgekehrt, umgekehrt. Übersteigt der Marktzins, also das, was die Leute bekommen, wenn sie ihr Geld zur Bank bringen, höher als der natürliche Zins, dann wird zuviel gespart und zu wenig, im Vergleich zum Angebot, nachgefragt. Die Preise werden fallen, die Produktion zurückgefahren, bis es wieder passt. (Oder bis die Zentralbanken den Zins wieder absenken, was sie in diesem Szenario wohl tun werden, denn der zu hohe Marktzins würde zur Arbeitslosigkeit führen.)
Im Vergleich zur klassischen Nationalökonomie hat Wicksell nun den Vorteil, dass er zumindest mal erkannt hat, dass der Marktzins von den Zentralbanken festgelegt wird. (Konzediert sei, dass es zu Zeiten des seligen David Ricardo gar keine Zentralbanken gab. Der damalige Goldstandard brauchte keine Zentralbank, die Feinsteuerung der Geldmenge erfolgte über einen Automatismus. Papiergeld war jederzeit zu einem festen Satz in Gold umtauschbar. Bei hoher Inflation haben die Leute Gold gegen Geld getauscht, mit dem Ergebnis, dass die Papiergeldmenge abnahm und damit die Inflation gestoppt wurde.)
Das Problem bei der Theorie von Knut Wicksell ist, dass er Vollbeschäftigung gar nicht definiert. De facto gibt es eine unendliche Menge an Kombinationen von „Vollbeschäftigung“ und Marktzinsen und einen natürlichen Zins gibt es schlicht gar nicht. Setzt die Zentralbank den Zins auf 20 Prozent, das schafft sie z.B. indem sie die Banken nicht mehr mit Geld versorgt, dann dann haben wir Unterbeschäftigung. Nur noch ganz wenige sind dann in der Lage, kreditfinanziert z.B. ein Haus zu bauen, ein Auto zu kaufen und ganz wenige Investitionen sind so rentabel, dass dieser hohe Zinssatz bedient werden könnte. Sowohl der Konsum wie auch die Investitionen kommen zum Erliegen. Bei einem sehr niedrigen Zins, z.B. nahe Null wie derzeit, wird der kreditfinanzierte Konsum massiv zunehmen und viele Investitionen werden rentabel. [Das ein sehr niedriger Zins auch zur Blasenbildung beiträgt, ist ein anderes Thema, siehe hier: https://theatrum-mundi.de/immbobilienhype-perpetuum-mobile/]. Irgendwie hat Wicksell eine Vorstellung von Vollbeschäftigung und ein Abweichen des natürlichen Zinses vom Marktzins führt zu Unter- bzw. Überbeschäftigung. Man liegt wohl näher bei der Wahrheit, wenn man den Marktzins als exogene Variable betrachtet und die Vollbeschäftigung als eine von diesem abhängige endogene Variable.
Bleibt die Frage. (Ausführlich diskutiert dort, https://www.economics-reloaded.de/pdf-Dateien/Keynes_Buch.pdf, hier nochmal in Kürze.) Hat der Zins eine Allokationswirkung, ist es ein Preis im Sinne der marktwirtschaftlichen Ordnung? Marktpreise sorgen für eine optimale Allokation der Resourcen, spiegeln Knappheitsverhältnisse wieder. Steigen die Preise in einem Sektor, für bestimmte Qualifikationen, Rohstoffen, etc. kommt es zu Anpassungsprozessen über eine dezentrale Steuerung der Resourcen über Preise. Fraglich ist nur, ob der Zins ein Preis in diesem Sinne ist und ob der Spruch „der Zins ist der Preis für Geld“ tatsächlich richtig ist. Einen Preis kann es nur für etwas geben, was knapp ist, was nicht knapp ist, hat keinen Preis und Geld ist nicht per se knapp, es wird allerhöchstens zur Steuerung makroökonomischer Größen, Inflation, Wachstum, Leistungsbilanz, Vollbeschäftigung künstlich knapp oder eben weniger knapp gehalten. Auf die Resourcenallokation hat der Zins keinen Einfluss, weil knappe Resourcen auch über den Preis dieser Resourcen, z.B. Lohn, Miete, Pacht etc.. in die jeweils produktivste Verwendung geschleust werden können. Der Zins hat keine Allokationswirkung. Der Denkfehler kommt zustande weil a) die Klassik Kapital mit Geld verwechselt, bzw. davon ausgeht, dass beides knapp ist und b) es der Alltagserfahrung entspricht. Für das einzelne Individuum ist Geld tatsächlich knapp, er kann es, zumindest legalerweise, nicht drucken.
Und die nächste Frage ist dann, ob es eine besonders pfiffige Idee ist, qua Zins Einfluss auf die Währung zu nehmen. Mexiko z.B. betreibt hier eine extreme Politik mit Zinsen um die 16 Prozent. Das zieht zwar ausländisches Kapital an und sorgt damit für eine Nachfrage nach mexikanischen Pesos, was deren Kurs hoch hält, führt aber im Gegenzug dazu, dass zahlreiche Investitionen in Mexiko unrentabel werden, die Arbeitslosigkeit also höher ist, als sie mit einem niedrigen Zins wäre. Pfiffiger wäre es also, die Leistungsbilanz und damit die Währung qua Zölle zu stärken, also solange Zölle zu erheben, bis die Leistungsbilanz ausgeglichen ist. Den umgekehrten Weg gingen die USA und die Türkei. Hier haben Trump und Erdogan die Notenbankchefs, die einen höheren Zins anstrebten, gefeuert, wodurch der Dollar und die türkische Lira unter Druck gerieten. Der Vorteil ist, dass Investitionen und Konsum angekurbelt wurden. Der Nachteil, im Fall der Türkei, die Lira fällt ins Bodenlose.