staunen, nicht ärgern

Wozu Geisteswissenschaften?

Mit rein monetären Größen messen wir unter Umständen auch keinen Nutzen. Unter Umständen messen wir damit lediglich, um mal ein Beispiel zu nennen, Versuche der maximalen Langeweile zu entfliehen. Um es mal mit einem anderen Beispiel zu erläutern: Die Tatsache, dass im Jahre 2022 in Deutschland im Durchschnitt 3 Stunden pro Tag fern geschaut wird, würde Popper jetzt so interpretieren, dass dieses Medium eine breite Zustimmung findet. Adorno würde sagen, dass der subjektive Möglichkeitsraum eingeschränkt ist und, um mal ein Beispiel zu nennen, das Ergebnis ein anderes wäre, wenn man an der schulischen Literaturdidaktik feilen würde. Man kann aus dem, was das Fernsehen liefert, auch nicht schließen, dass es das ist, was die Leute sehen wollen und selbst wenn man die Präferenzen messen würde, sind diese Präferenzen Resultat einer Entwicklung. Wie z.B. Medikamentepreise zustande kommen, ist ein echter Krimi, interessanter als jeder Serienkrimi mit dem die User allabendlich bestrahlt werden. Wenn die Leute die virtuellen Krimis interessanter finden, als die realen Krimis, dann haben wir ein Problem mit dem demokratischen Entscheidungsfindungsprozess, denn Dinge, die richtig spannend sind und richtig Geld kosten, Monat für Monat, sollten die Leute beschäftigen. Beschäftigt sie das nicht, dann kann und sollte man das ändern.

Das Nutzenkonzept der Volkswirtschaftslehre, das letztlich allen Überlegungen der Mikroökonomie zugrunde liegt, ist vollkommen sinnlos. Maximierung des Nutzens kann auch lediglich bedeuten, dass die am wenigstens schlechte Alternative gewählt wird, weil die Gesellschaft die positiv bewerteten Alternativen eliminiert hat, bzw. diese im historischen Prozess sich noch gar nicht kristallisiert haben. Das Nutzenkonzept der Volkswirtschaftslehre gilt auch in Nordkorea. Wir können davon ausgehen, dass auch dort die Menschen den Nutzen innerhalb der gegebenen Möglichkeiten maximieren, allerdings wäre in einem anderen System die Optionen andere.

Das Nutzenkonzept ist im Grunde sinnlos bzw. nur sinnvoll bei sehr einfachen Alternativen, die auch in Lehrbüchern dominieren, etwa wenn zwischen Reis und Kartoffeln gewählt werden soll. Solange die Mikroökonomie mit rein monetären Größen arbeitet, haben die Konzepte einen Erkenntniswert. Unterstellt man hinter den monetären Größen ein Nutzenkonzept, wird es sinnlos, wobei natürlich rein monetäre Größen sinnlos sind, wenn sie nicht mit einem Nutzenkonzept verbunden werden können.

Der eindimensionale Mensch ist, um es mal mit Herbert Markuse zu sagen, in den ihm bekannten Handlungsoptionen beschränkt und insoweit könnten die Geisteswissenschaften ein Korrektiv sein. Wir wissen nicht, warum Romane geschrieben und gelesen werden, warum Bilder gemalt und betrachtet werden, warum Musik komponiert und gehört wird, aber das ist letztlich auch egal. Mit was auch immer sich die Geisteswissenschaften beschäftigen, es handelt sich immer um die Spannung zwischen Subjekt und Objekt. In jedem Gedicht, jedem Roman, jedem Bild, jeder Skulptur, jedem Lied, jeder Komposition und manchmal eben auch im Kino haben wir ein Subjekt, das sich zum Objekt verhält, eine subjektive Sicht auf das Objekt zum Ausdruck bringt. Nur bei der reinen Unterhaltung, fehlt dieses Moment. Im Überschuss des Artefaktes, zeigen sich die Defizite der realen Welt. Eine Welt ohne Defizite wäre das Ende aller Kunst. Wäre die reale Welt so spannend, so authentisch, so vielseitig, so kritisch wie die Kunst, dann bräuchten wir sie nicht. Nicht jeder Überschuss muss hierbei, wie Ernst Bloch das nennt, ein Noch-Nicht sein, also auf eine Tendenz und Möglichkeit im Objekt verweisen. Ein bestimmtes Licht in einem impressionistischen Gemälde werden wir z.B. sowenig jemals in der Realität sehen, wie eine Gegenwelt in einem Gemälde von Wassily Kandinsky oder Franz Marc. In diesen Fällen haben wir eben ein perfektes Objekt.

Das Wort Geisteswissenschaften beinhaltet schon das entscheidende Element: Geist. Was der Geist ist, wissen wir natürlich auch nicht, siehe https://www.die-geisteswissenschaften.de, aber klar ist, dass der Kollege Geist ein echter Freigeist ist, der die Welt mal ganz locker neu zusammenstellt bzw. sich ganz definitiv von eben selbiger verabschiedet, aber genau dadurch zeigt er uns, was, jenseits aller materiellen Beschränkungen, möglich ist. Hoffnung ist nicht dann gescheitert, wenn sie an der Realität zerschellt, shit happens. Gescheitert wäre die Hoffnung, wenn der Geist sich nicht mal mehr Alternativen vorstellen könnte.

Dass die Geisteswissenschaften unter heftigen Beschuss geraten sind, mit Mittelkürzungen allerorten und Streichung von kompletten Fakultäten, kann man nicht dem Kollegen Geist anlasten. Das hat eher was damit zu tun, dass die verbeamteten Geistlichen sich redlich bemühen, die Ökonomen an Engstirnigkeit und Borniertheit noch zu übertreffen. Ansonsten ist er eigentlich quicklebendig und blüht allerorten.

Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Also mit pseudowissenschaftlichen Geschwafel kann jetzt niemand was anfangen. Thema der Geisteswissenschaften ist nicht, wie die Oberblubberer à la Gadamer meinen die Wahrheit, siehe https://theatrum-mundi.de/gadamer-und-der-schwachsinn-mit-der-hermeneutik/ , sondern der Möglichkeitsraum.

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