staunen, nicht ärgern

Wenn man keine Fragen an die Bücher hat

Wenn man keine Fragen an die Bücher hat

Für den von seinem eigenen Tiefsinn tief ergriffene Gadamer, den hatten wir schon, siehe hier https://theatrum-mundi.de/zirkelt-der-hermeneutische-zirkel/ schreite man durch den hermeneutischen Zirkel voran, bzw. bewegt sich spiralförmig aufwärts. Das ist also eigentlich schon der Name falsch. Ein Zirkel macht ja eigentlich nur Kreise, also der dreht sich schlicht und einfach nur im Kreis.

Wer will kann das auch komplizierter sehen, läuft aber auf das gleiche hinaus. Der hermeneutische Zirkel zirkelt, aber nicht in Form einer Spirale, also aufsteigend, sondern mehr so im Kreis drehend. Der Autor dieser Zeilen hat z.B. auch Enid Blyton, Astrid Lindgreen, Karl Mai und was sonst noch in der Stadtbibliothek rumstand gelesen. Also vielleicht hatte er da auch ein Vorverständnis im Sinne Gadamers, dass dann revidiert wurde, aber so richtig spiralförmig gezirkelt hat da nix. Bei Büchern von Erick Kästner, Emil und die Detektive oder das Fliegende Klassenzimmer, oder der Kleine König Kalle Wirsch von Tilde Michels hat es vielleicht auch gezirkelt, aber das ist nicht der Punkt. Aus irgendeinem Grund kann er sich bei letzteren noch an den Inhalt erinnern, bei Enid Blyton war das immer irgendwie Fünf Freunde und irgendwas. Bei Märchen ist es auch nicht so, dass die ultimative Bewußtseinserweiterung durch das zirkeln entsteht. Es mag viele Gründe geben, warum und über welche Mechanismen sich die Teile in das kollektive Bewußtsein der Menschheit eingebrannt haben, aber der Grund ist sicher nicht, dass da was zirkelt. (Bei der kleinen Seejungfrau vielleicht die Tatsache, dass ihre Liebe zu dem Prinzen Leichtfuß sie aus ihrer Welt hinaus und in den Abgrund treibt. So was kann passieren. Auf jeden Fall sind die Dänen tief berührt und haben ihr auch ein Denkmal aus Bronze gemacht.) Es gibt Bücher, die hinterlassen ohne jeden hermeneutischen Zirkel einen bleibenden Eindruck, welcher Art auch immer, und es gibt Bücher, da weiß man nach drei Wochen nicht mal mehr ansatzweise, was drin stand. Meist ist es aber umgekehrt. Es sind gerade die Bücher, bzw. einzelne Passagen, die unmittelbar „hängen bleiben“. Im übrigen ist das immer so. Einschneidende Erlebnisse können die Perspektive ändern.

Bei Gadamer selbst auf jeden Fall zirkelt nicht viel, denn er startet mit abstrakten Begriffen bzw. Vorstellungen, die gar keine konkrete Welterfahrung haben. Es bleibt völlig unklar, ob er seinen hermeneutischen Zirkel für ein „normales“ Vorgehen hält oder ob das etwas ist, was man erlernen soll und wenn es etwas ist, was man erlernen soll, dann bleibt unklar, wie man das erlernen soll. Ist die Vorstellung die, dass man lernt AKTIV Fragen zu stellen oder stellt er sich vor, dies wäre zutreffend, dass sich im Laufe des Lebens die Sicht auf die Dinge ändert. In diesem Falle passiert das aber automatisch und unbewusst, oder eben auch nicht, und wäre im übrigen eine Binse.

Wer diese Verse versteht, bringt eine entsprechende Welterfahrung mit. Hat er diese nicht, hat er keinen Zugang. Diese Verse zum Beispiel entstammen einem Lied von Clara Montes, kann man sich hier anhören:

Agua me daban a mí.
Me la bebí.
No se qué cosa sentí.
A orillas del mar amargo,
por el alba de Abril,
labios de arena y espuma,
agua me daban a mí.
La llama contra la llama,
el clavel sobre el jazmín,
al mediodía de Agosto
me la bebí.
En qué breñal se echaba
la tarde a malmorir.
Cuando se helaron las fuentes
no sé qué cosa sentí.

Sie gaben mir Wasser
ich habe es getrunken
ich weiß nicht was ich fühlte
An den Ufern des bitteren Meeres
in der Dämmerung des April
Lippen aus Sand und Schaum
Wasser gaben sie mir
Die Flamme gegen die Flamme
die Nelke über dem Jasmin
in der Hälfte des August
ich habe es getrunken
in welchem Gestrüpp ist gelandet
dieser Nachmittag als alles verödete
Als die Quellen versiegten
ich weiß nicht, was ich gefühlt habe

Nach dem Gadamer Prinzip würde jemand jetzt fragen, was mit

Sie gaben mir Wasser
ich habe es getrunken

eigentlich gemeint sein kann und der hermeneutische Zirkel würde in Gang gesetzt. Dann hätte also irgendjemand, zum Beispiel in einer Bar, einen Mojito bestellt, aber ein Glas Wasser erhalten, hätte es getrunken und sich dann beim Kellner beschwert oder irgendwas in der Art. Das wäre also die Vorerfahrung, mit der Gadamer an die Verse herangehen würde. Irgendwie muss die Bar aber auch direkt am Strand gelegen haben, denn das passierte an den Ufern eines bitteren Meeres. (Was sogar stimmt. Meerwasser ist eher bitter als salzig.) Dann hat sich noch jemand mit nassem Gesicht auf den Bauch gelegt, mit dem Ergebnis, dass der Sand an den Lippen hängenblieb. Das wäre also die Vorgehensweise von Gadamer. Nach zuviel Platon, bleibt die Welterfahrung, die einen unmittelbaren Zugang schafft, auf der Strecke.

Wer jetzt zur Welterfahrung überhaupt fähig ist, was positiv oder negativ sein kann, der wird ganz ohne hermeneutischen Zirkel in dem Gedicht eine kleine Geschichte geschildert finden. Die ersten Verse beschreiben dann den selben Zustand, wie die letzten und dazwischen war es mal anders.

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