staunen, nicht ärgern

Was machen eigenlich Historiker? Irgendwas zwischen verstehen, erklären, beschreiben, interpretieren, illustrieren, erläutern und unterhalten.

Witzig daran ist nur, dass es innerhalb der Geschichte noch die Abteilung Wirtschaftsgeschichte gibt, wobei das hoffnunglos ist, denn Historiker haben von Wirtschaft keine Ahnung. Naheliegender wäre eine psychologisch fundierte Geschichtsschreibung, also so was in der Art wie Adorno wie „The authoritarian personality“, wo Adorno versucht, den Typus Mensch psychologisch zu beschreiben, der für autoritäre Verhaltensmuster anfällig ist.

 

Bei dem schönen deutschen Wort erklären haben wir dieselbe Zweideutigkeit, wobei das hübsche Verb erklären eben in der Regel ein Dativobjekt braucht: Irgendjemand erklärt irgendwas, irgendwem. (Ausnahme: Das erklärt sein Verhalten. Implizit wird es aber auch hier irgendjemandem erklärt.) Die Frage „Kannst Du Dir sein Verhalten erklären“ stellt, so überhaupt ein empirisches Substrat vorhanden ist, auf Introspektion ab. Jemand, dem schon mal der Arsch auf Grundeis gegangen ist, kann gut nachvollziehen, dass die Fähigkeit zur Empathie unter diese Auspizien schwindet. Er könnte sich also erklären, warum X dem Y nicht geholfen hat.) Wenn aber jemand einen anderen auffordert, ihm objektorientierte Programmierung zu erklären, dann wird auf einen logischen Zusammenhang abgestellt. Verstehen und erklären sind also die gleiche Liga, nur die Perspektive ändert sich.

Historiker tun aber in der Regel weder das eine, noch das andere. Ganz überwiegend beschäftigen sich Historiker mit der Beschreibung geschichtlicher Prozesse. Mit der Beschreibung haben wir ein ganz ähnliches Problem wie mit der Erinnerungskultur, siehe https://theatrum-mundi.de/erinnerungskultur/. Sich an die nationalsozialischen Verbrechen rituell zu erinnern, mag eine Grundlage sein, die Fakten kann man sich immer mal wieder ins Gedächtnis rufen, allerdings würden wir gerne verstehen und erklären, introspektiv, psychologisch fundiert oder wie auch immer, wie es dazu kam. Bei Beschreibung haben wir einen Mangel an Theorie. Das Problem ist bekannt, findet sich schon in Goethes Faust.

Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
sucht erst den Geist herauszutreiben,
dann hat er die Teile in seiner Hand,
fehlt, leider, nur das geistige Band.

(Wobei der Vers die Problematik von hinten aufzieht. Hypostasiert wird, dass der Betrachter bereits eine Vorahnung hat, und diese dann eliminiert. Bei verbeamteten Historikern ist das anders. Die kommen gar nicht auf die Idee, dass das etwas erklärt und verstanden werden muss. Die Beschreibung reicht.)

Den Mangel an Theorie merken wir am deutlichsten, wenn wir nach Dingen fragen, die von der Natur der Sache her weder verstanden noch erklärt werden müssen. Es heißt „Können Sie mir beschreiben, wie man dahin kommt?“ und nicht „Können Sie mir erklären, wie man dahin kommt?“. Wenn jemand sagt, dass er nicht verstehen könne, wie man dahin kommt, dann versteht er z.B. nicht, wie Herr Maier es auf den Nanga Parbat geschafft hat. Man kann ihm das dann erklären. Herr Maier hatte eine Sauerstofflasche dabei.

Im Kunstunterricht machen wir eine Bildbeschreibung und keine Bilderklärung. Die Beschreibung verharrt an der Oberfläche.

Wenn Historiker also etwas erklären wollen, so dass wir historische Prozesse verstehen können, dann bräuchten sie eine Theorie. Dass menschliches Verhalten nicht Mustern folgt, ist eigentlich extrem unwahrscheinlich. Vermutlich gibt es auf keinen Psychologen auf der Welt, der behaupten würde, dass meschliches Verhalten so individuell ist, dass sich keine Muster erkennen lassen. Nimmt man es aber genau, bzw. denkt den Ansatz idiographische Wissenschaft zu Ende, dann wird genau das behauptet. Geschichte wäre also ergiebiger, wenn sie sich darauf konzentrieren würde, die Muster aufzuzeigen, bzw. solche zu finden.

Dann haben wir noch das Verb interpretieren im Angebot. Diese Verb verweist schon auf den Möglichkeitsraum, verweist darauf, dass kein Anspruch auf Wahreit erhoben wird, die Interpretation lediglich eine von vielen möglichen Deutungen ist und die Interpretation sich aus der Vorerfahrung des Interpreten ergibt. Zwar können auch Physiker Fakten unterschiedlich interpretieren, aber die Interpretation ist nicht das Endziel, ist in diesem Falle nicht eine akzeptable Möglichkeit, sondern das Ergebnis von Unsicherheit. Bei der Gedichtinterpretation, ist die Situation anders. Solange die Gedichtinterpretation authentisch ist, das heißt Ergebnis einer konkreten Vorerfahrung des Interpreten ist, ist sie Audruck einer subjektiven Wahrheit. Bei der Interpretation haben wir es tatsächlich mit etwas zu tun, was idiographisch ist, denn Kunst zeichnet sich eben dadurch aus, dass ein Muster durchbrochen wird.

Die Interpretation würde aber mit dem Selbstbildnis der verbemateten Historiker kollidieren, denn erheben Anspruch auf die Wahrheit, obwohl sie nur beschreiben. Verständnis oder Erklärung setzt sachlogisch eine Vorstellung von Kausalzusammenhängen voraus, die aber das Vorhandensein einer allgemeinen Theorie bedingen, wobei eine solche eben nicht vorliegt und letzlich, da menschliches Handeln immer psychologisch motiviert ist, auch nur von der Psychologie geliefert werden kann.

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