staunen, nicht ärgern

Was Fussball und Geisteswissenschaften gemeinsam haben

Der wesentliche Unterschied zwischen Fußball und Geisteswissenschaften besteht darin, dass Fussball zur besten Sendezeit kommt und wirklich big business ist und die Geisteswissenschaften in die späten Nachtstunden verschoben werden, bzw. schlicht massenmedial gar nicht nicht in Erscheinung treten. Wir haben also eine Diskrepanz zwischen Angebot, was ja üppig ist, jeden Tag wird auf Tausenden von Blogs und Tausenden von Feuilleton Artikel über das Wahre, Schöne und Gute debattiert. Die Kunst besteht aber immer darin, Erregung zu produzieren oder zumindest besonders staatstragend zu sein. Schafft man Erregung, dann schafft man es sogar in die öffentlichen rechtlichen Sender. Es geht also nicht um Relevanz, nicht beim Fussball und nicht bei den Geisteswissenschaften, es geht um Erregung. Aus staatstragender Sicht, hängt erstmal das Wohl und Wehe der ganzen Nation am kulturellen Erbe. Beim BMBF lesen wir.

Wir wollen eine Zukunft gestalten, in der für jeden ein gutes Leben möglich ist. Zur Bewältigung dieser Aufgabe leisten die Geistes- und Sozialwissenschaften unverzichtbare Beiträge: Sie reflektieren gesellschaftliche Entwicklungen und Systeme kritisch und erarbeiten Orientierungs- und Handlungswissen über und für die Gesellschaft. Ihnen kommt deshalb eine Schlüsselrolle für eine erfolgreiche Gestaltung unserer Zukunft zu.

Quelle: https://www.bmbf.de/de/geistes-und-sozialwissenschaften-152.html

Also Geisteswissenschaften befassen sich mit dem Einfluss von irgendwas auf irgendwen bzw. dem Einfluss von irgendwem auf irgendwen. (Das stammt von Virginia Woolf, die Fahrt zu Leuchtturm. Damit karikiert sie ihren Vater, der war Professor für Philosophie.) Die unverzichtbaren Beiträge für eine Zukunft, wo jedem ein gute Leben möglich ist, klingen dann so: Die Wolke als Dispositiv der Literatur im Wandel des Wissenshorizontes – Studien zu Wolkenkodierungen bei Hugo, Baudelaire und Maupassant, bzw. Ökokritik als Endzeitmythos in La stella Assenzio von Livia De Stefani bzw. Fragmente der Unruhe als simulakres Schreiben: Federigo Tozzis Bestie etc. etc. etc.. Also da werden die letzten Fragen der Menschheit verhandelt, die dann Orientierungs- und vor allem Handlungswissen bieten.

Aus einer anderen Perspektive hat sich der Autor mit der Thematik mal hier beschäftigt: www.die-geisteswissenschaften.de. Es gibt bei den Geisteswissenschaften ein massives Problem mit der Didaktik. Das wird dort verhandelt.

Auffallend an dem Artikel des BMBF ist, nur von gesellschaftlichen Entwicklungen die Rede ist und konkreten Lösungen bzgl. Zukunftsfragen. Daraus muss man schließen, dass der Autor des Artikels des BMBF geistige Artefakte noch nicht als Bereicherung erlebt hat, sonst würde im das als erstes einfallen. Geisteswissenschaften müssen nicht notwendigerweise Probleme lösen, es reicht schon, wenn sie Spaß machen. Das Problem ist, sie machen keinen Spaß mehr und von daher gibt es einen Mangel an Nachfrage. Was nicht unmittelbar erregt bzw. bei Günther Jauch nützlich ist, hat keine Chance. Bei einem zunehmend schwindenden Teil der Bevölkerung haben die Geisteswissenschaften noch eine Aura. Dann ist es schick, die Schlagwörter auf der Party rauszuhauen. Glücklicherweise gibt es hierzu eine Website: https://www.philomag.de/artikel/zwoelf-klassiker-der-philosophie-je-einem-satz?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Sieht man die Sache realistisch, wird man konstatieren müssen, dass die Allgemeinheit die Geisteswissenschaften schlicht als völlig bedeutungslos einschätzt. Konkrete Lösungen erwartet die Allgemeinheit nur durch technischen Fortschritt. Die Geisteswissenschaften gehören im Bewusstsein der Öffentlichkeit in die Sphäre Unterhaltung und in dieser Sphäre geht es primär um Erregung. Die Geisteswissenschaften existieren maximal noch als abrufbares Wissen. Wer weiß, wann Goethe gestorben ist, kommt bei Günther Jauch eventuell eine Runde weiter. Die Frage, inwiefern in Goethes Faust zwischen Wort und Begriff unterschieden wird, gehört nicht zum abfragbaren Wissen.

Bleibt die letzte Frage: Hat die Menschheit ein Problem mit dem Geist oder mit der Technik? Wenn die angestrebten Ziele falsch sind, die Visionen nicht zielführend, dann könnte man sich die Lösung der Probleme von den Geisteswissenschaften versprechen. Davon scheint aber niemand auszugehen. Sind die Probleme rein technischer Natur, bzw. eine Lösung nur über technische Innovationen möglich, wovon alle Leute ausgehen, dann kann man die geisteswissenschaftlichen Fakultäten auch schließen. Kalauer, die bei feierlichen und sonstigen Anlässen abgespult werden können, haben wir bereits in ausreichender Anzahl.

 

 

 

 

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