staunen, nicht ärgern

Soll man in der Schule den Roman lesen oder das Video dazu schauen?

Ab jetzt wird es richtig schwierig. Nach den Verlautbarungen der Kultusministerkonferenz, die sich dann wiederum in Rahmenlehrplänen wiederschlägt, die wiederum die Bundesländer zu Lehrplänen verwursten, die wiederum den Lehrern am Arsch vorbeigehen verfolt die Literaturvermittlung an der Penne eine unglaublich Vielzahl an Zielen, die alle das Wahre, Schöne und Gute fördern, wobei allerdings nie der Versuch gestartet wird, den Zielerrreichungsgrad tatsächlich empirisch belastbar zu messen. Könnte man ja machen. Man könnte z.B. eine Umfrage unter 10 000 Deutschen machen und nachschauen, wie sie de Vermittlung von Literatur in ihrer schulischen Laufbahn nachträglich einschätzen.

Nun gibt es Leute, die mit Literatur jetzt ganz definitiv gar nichts anfangen können, aber ansonsten quietschfidel sind. Der Autor hat auch noch nicht feststellen können, dass es zwischen, nennen wir es mal Neigung zur Literatur und wertvollen menschlichen Charaktereigenschaften, Fähigkeit zur Freundschaft, Empathie, Hilfbereitschaft, Sensibilität, denken in sozialen Zusammenhängen etc. irgendeine Verbindung gibt. Selbst unter bekannten Autoren gibt es eine Menge dubioser Gestalten: Ernst Jünger, D’Annunzio, Friedrich Nietzsche etc..

Erklärt man nun die gewichtigen Werke tiefen Sinnens zu Unterrichtsinhalten, bräuchte man schon, um es mal ökonomisch auszudrücken, den Nachweis, dass es sich hierbei um meritorische Güter handelt, als um Güter, deren Konsum zwar der Gesamtgesellschaft zugute kommt, die aber zuwenig konsummiert werden. Fördert der Staat diesen Konsum, dann ist der gesamtgesellschaftliche Nutzen höher als der gesamtgesellschaftliche Verlust an Wohlstand. Wer sich was darunter vorstellen will: Fördert der Staat Verhaltensweisen, die der Gesundheit förderlich sind, dann kann er damit unter Umständen die durch Krankheit anfallenden Kosten in den sozialen Sicherungssystemen reduzieren. Dieser Nachweis wird aber nie erbracht, es wird nicht mal der Versuch unternommen, diesen zu erbringen. Allein die Tatsache, dass die individuellen Möglichkeiten durch die meist didaktisch ungeschickte Analyse im Unterricht erweitert werden, rechtfertigt keinen Milliardenaufwand in Euro pro Jahr und man wird den Verdacht nicht los, siehe https://www.die-geisteswissenschaften.de, dass es mehr darum geht, eine Identität zu schaffen, eine nationale, als dem proustschen vrai moi auf die Sprünge zu helfen bzw. das zu tun, was schon das Orakel von Delphi empfahl: Erkenne dich selbst. Es mag ja sein, dass die Zeitgenossen die glücklich sind in ihrer Beschränktheit nicht so wahnsinnig sympathisch sind, aber das zu bewerten ist nicht die Aufgabe staatlicher Institutionen.

Etwas anders sieht die Sache aus, wenn wir Kunst als den Vorschein der vollkommenen Ankunft sehen, siehe https://theatrum-mundi.de/der-baum-der-erkenntnis-von-pio-baroja-und-hoffnung/. In diesem Falle könnte es tatsächlich eine staatliche Aufgabe sein, die Kunst, also auch die dicken Schinken, im öffentlichen Raum und im Bewußtsein der Menschen zu halten. (Wobei man dann nicht auf die Nationaliteratur abstellen müsste, sondern auf die Werke, die zum kollektiven Bewußtsein der Menschheit gehören, egal in welcher Sprache sie urspünglich geschrieben wurden.) Die sonstigen Erzählungen von Ankunft, ohne die die Hoffnung ja verschwinden würde, technische, medizinische, gesellschaftliche Entwürfe etc. zielen nicht so weit und bewegen sich lediglich an der vordersten Front, gehen aber nicht darüber hinaus. Soll heißen: Zumindest im konkreten Wissenschaftbetrieb beschäftigt sich jetzt kein Mediziner mit der Idee Unsterblichkeit zu erreichen. Angestrebt wird das, was aufgrund konkreter Forschungsergebnisse in das nähere Blickfeld gerät. Per salto mortale Unsterblichkeit anzustreben, brächte exakt Null wissenschaftlichen Fortschritt, dafür aber viele Leute in die Klapse.

Diese Logik und der damit verbunden Kostenaufwand wäre natürlich, wie unmittelbar einsichtig, richtig, wenn die dicken Schmöcker oder die dünnen, aber schwierig zu lesenden Reclam Bändchen tatsächlich die Gesellschaft maßgeblich prägen würden. Im kollektiven Bewußtsein spielen aber erstmal Musik und Filme eine weit größere Rolle. Die größere Distanz sorgt weder dafür, dass die Sterne der Hoffnung stärker strahlen, noch die Mängel der Zeitläufte stärker gespiegelt werden bzw. eben selbige in vernünftige Bahnen gelenkt werden. Das alles machen Filme und Musik sehr viel stärker, die Beispiel hierfür sind Legion. Angefangen bei Janis Joplin, Me and Bobby McG (da taucht der berühmte Satz auf „Freedom is just another word, for nothing left to loose“, eine Gegenposition zum bürgerlichen Wunsch nach Wohlstand und Sicherheit), Break On Through to the other side von den Doors (was immer mit der Aufforderung gemeint ist, sich auf die andere Seite zu begeben, es ist nicht das, was der Bürger als die richtige Seite betrachten würde). Was immer man sich unter dem Gegenentwurf vorstellt, er ist härter als das, was wir bei Wedekind in dem Drama Frühlings erwachen finden.
Expliziter wird es dann bei we don’t need no education von Pink Floyd, God save the Queen von den Sex Pistols etc. etc.. Breitenwirkung hatten Filme Roots, über die Sklaverei, Schindlers Liste von Steven Spielberg oder eben Carmen von Carlos Saura. Die Liste ist jetzt natürlich nicht abschließend, man kann da Tausende von anderen Beispielen finden. Für Adorno ist das, also das, was er als populär Kultur bezeichnet, natürlich reiner Kitsch und kritisiert, konzediert sei, dass das auch für die Kultur gilt, die eine größere Distanz zum Rezipienten hat, dass hier gesellschaftliche Probleme das Material sind, das zu Kunstwerken umgearbeitet gewinnbringend vermarktet wird. Kann man so sehen. An der Ernsthaftigkeit des politischen Engagements von Bob Dylan kann man zweifeln, wenn er sein gesamtes Repertoire für 400 Millionen Dollar an Universal verkauft. Damit hat Universal das Recht, gegen jeden vorzugehen, der Bob Dylan Songs in irgendeinerweise veröffentlicht.

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