Die Leute, die da in Weimar ins Theater gegangen sind, hatten keine großen Ansprüche. Die wollten erstmal nur unterhalten sein. Das schließt aber nicht aus, dass manche Leute in dem Theaterstück ihre eigene Situation, ihre psychische Verfasstheit oder was auch immer gespiegelt sahen bzw. sich eingebildet haben, dass sie gespiegelt wird. Möglich auch, dass sie so nebenbei Dinge erfuhren, die sie die Welt tiefer haben erleben lassen frei nach Eichendorff.
Ruht ein Lied in allen Dingen
die da singen fort und fort
und die Welt hebt an zu singen
findst du nur das Zauberwort
Um die Sache mal auf den Punkt zu bringen. Liest man sich den ganzen Tralala bzgl. Literatur durch, Studien zur Literatur, Beiträge in Blogs, Verlautbarungen der Kultusministerkonferenz, die Tonnen an Artikeln in den Feuilletons, die die Dünkel des „Bildungsbürgertums“ bedienen in Zeitungen wie der FAZ, dann finden wir eine Einteilung in Trivialliteratur und anspruchsvolle Literatur. Die Grenze ist so eindeutig nicht zu ziehen. Auch „Klassiker“ können im übrigen irgendwo dazwischen liegen. Lion Feuchtwanger z.B. ist extrem unterhaltsam und man kriegt eine Menge mit. In „Waffen für Amerika“ z.B. einen Abriss über die Vorgeschichte Frankreichs und den USA. Könnte man auch verfilmen, aber dann wäre es eine Masse Holz an Info. Im übrigen zielt natürlich auch die sogenannte „anspruchsvolle“ Literatur auf Unterhaltung. „Felix Krull“, „Der Erwählte“, „Buddenbrocks“ von Thomas Mann zielt auf Unterhaltung, damit hat er seinen Schotter gemacht, nicht mit „Joseph und seine Brüder“, „Der Zauberberg“ oder „Dr.Faustus“.
Wie dem auch immer sei. Wer es eine Stufe differenzierter will, der gehe auf https://www.die-geisteswissenschaften.de. Wir können aber festhalten, dass die Literatur, der Begriff Literatur addressiert von vorneherein eher die Sparte, die Bereiche erfasst, die der spontanen Erfassung eher nicht zugänglich ist oder die Distanz zwischen Sender und Empfänger höher ist. Wir will kann hier ein grundsätzliches Problem sehen, bzw. Zweifel haben an den didaktischen Möglichkeiten auf von Lernvideos, die ja als non plus ultra moderner digitaler Lernmedien gelten. Tatsächlich ist das anders. Ein Lernvideo kann nur funktionieren, wenn das Informationsgefälle zwischen Sender und Empfänger gering ist. Jeder Student kennt das. Vorlesungen an der Uni sind in der Regel sinnlos. Der, der da vorne steht, hat den Ehrgeiz sein gesammeltes Wissen aus dreißig Jahren innerhalb einer Stunde vor dem entgeisterten Publikum auszubreiten, das rauscht dann durch wie ein Wasserfall und gibt es keine Skripte, also TEXTE, dann wird die Sache schwierig. (Konzediert sein, dass man ein Video wenigstens anhalten kann, an der grundsätzlichen Problematik ändert sich aber nix.)
Je mehr ein Autor die Welt neu durchdringt, bzw. je weiter er zeitlich und / oder räumlich von uns entfernt ist, je individueller die Position, die er gegenüber der Welt einnimmt, desto weiter ist er entfernt vom Empfänger bzw. dem Leser. Cum grano salis könnte man sagen, dass das, was der Feuilleton als „anspruchsvolle“ Literatur bezeichnet, durch Distanz geprägt ist.
Dazu ein paar Bemerkungen. Man kann sich jetzt fragen, wieso man sich mit Dingen beschäftigen soll, die irgendwelche Individuen auf geistig entfernten Planeten und Sterne beschäftigen bzw. beschäftigt haben. Antwort: Muss man nicht. Man hält es dann wie der berühmte Bauer, der ja bekanntlich nur das isst, was er kennt, wogegen auch nichts einzuwenden ist. In Anbetracht der Tiefkühltruhen des durchschnittlichen Edeka, reich gefüllt mit Nasi Goring, Tofu Gerichten in allen Varianten, Tortilla, Guacamole, Paella, Rösti, Zwiebelweihe, Köfte, Khoresche badenjun etc. sowieso, ist zu vermuten, dass es soviele Bauern gar nicht gibt. Leute sind ziemlich neugierig. (Der Autor dieser Zeilen ist da ein Ausnahme, der will es rustikal und schwäbisch.) Der Bauer kann das so machen, wobei wir ja bezweifeln, dass es den „Bauer“ überhaupt gibt, das sind heutzutage eher Unternehmer, die Tätigkeit ziemlich komplex an der Schnittstelle zwischen Technik, Agrarwissenschaft, Marketing und Kaufmann, aber er kann dann nicht ausschließen, dass er vieles, was sein Leben bereichern würde, er nie kennen lernen wird. Enttäuschungen bleiben ihm dann erspart, aber Dinge, die seine kulinarischen Erlebnisse bereichern würden eben aus.
In der Distanz liegt also auch ein Potential, allerdings nicht in jeder. Das Drama „El Alcalde de Zalemea“ von Lope de Vega beschäftigt sich mit dem Problem der Ehre, wenn die Tochter eine von ihrem Paps als unangemessen eingeschätztes Liebesbeziehung eingeht. Das mag im 16 Jahrhundert in Spanien die Leute beschäftigt haben, das Thema haeben die Rolling Stones aber inzwischen umfassend beschrieben und abgehakt.
Have you seen your mother baby
standing in the shadows
Auch die Gretchentragödie in Goethes Faust ist kein Problem, das den Leuten auf den Nägeln brennt. Uneheliche und eheliche Kinder sind rechtlich heutzutage vollkommen gleichgestellt, soziale Ächtung von aus unehelichen Beziehung hervorgegangenen Kindern gibt es nur noch bei Leuten, die wirklich schwierig sind. Großes Thema die Gretchentragödie bei den „Literaturhilfen für Schüler“ von Klett, Cornelsen, Westermann, objektiv scheißegal. Es gibt also Themen, die sich erledigt haben.