staunen, nicht ärgern

Marketing und Geisteswissenschaften

Er will also der Menge behagen, das heißt wohl, sie unterhalten. Wir können das vermuten, denn die hierzu in Opposition stehende Anicht, die des Dichters oder etwa Adornos, ist eben nicht behaglich. Allerdings macht er dann noch einige erhellende Aussage über sein Publikum. Das will z.B. gern erstaunen. Erstaunen geht über unterhalten hinaus, vor allem bei Goethe.

Doch im Erstarren such ich nicht mein Heil
das Schaudern ist der Menschheit bester Teil
wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure
Ergriffen fühlt er tief das Ungeheure

Das Problem bleibt dasselbe wie oben, was letztlich Kunst ausmacht, wird nicht erläutert, sondern nur lyrisch umschrieben, was anderes dürfte auch nicht möglich sein, weil die Banbreite ästhetischen Erlebens sehr, sehr, sehr breit. Nicht mal ein Begriff wie Expressionismus lässt sich so richtig fassen. Expressionismus kann bedeutenden, dass das Bild das betrachtende Subjekt sozusagen anschreit, aber auch, dass das betrachtende Subjekt selber schreit.

Dann macht er noch ein paar zutreffende Bemerkungen bzgl. der Rezeption des Publikums.

Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Das ist zwar etwas despektierlich, aber nicht mal falsch. Es kann durchaus passieren, dass bei einem dicken Wälzer an Roman beim Leser letztlich nur zwei Zeilen hängen bleiben, die waren dann halt subjektiv bedeutsam, der Rest wandert ins Nirvana. Hinsichtlich seines Publikums ist er ähnlich desillusioniert, wie der Dichter.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
Und, was das Allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Die Funktionsweise der Kulturindustrie hat der Direktor schon vor 250 Jahren messerscharf erfasst. Bei Adorno wird selbige so beschrieben: Der Aufwand an Technik ist umgekehrt proportional zu den ästhetischen Materialien. Soll heißen: Es werden zwar z.B. mit immer größerem Aufwand Schiffe auf den Meeresboden geschickt und Autos geschrottet, aber der Plot ist immer ziemlich ähnlich. Meist kämpft ein guter Superheld gegen die Macht des Bösen und ist dabei auch noch schrecklich verliebt. Oder sowas in der Art.

Gebraucht das groß, und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Wobei in den letzten zwei Versen wieder ein Anspruch geltend gemacht. Dass man in der Schwarzwaldklinik in bedächtiger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle wandert, kann man nicht gerade sagen.

Hinsichtlich der Einschätzung des Publikums ist die Lustige Person ganz beim Direktor. Die Leute zahlen erstmal für Unterhaltung und Emotions. Das leuchtet intuitiv derartig ein, dass der Ausdruck „ganz großes Kino“, es sogar schon zum Adjektiv geschafft hat. Der Überschuss, also das, was die Position des Subjekts neu sortiert, in welcher Art auch immer, muss in der Unterhaltung verpackt sein, andernfalls zahlt niemand 8 Euro für eine Kinokarte.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Beschrieben wird eine eigentümliche Gemengelage aus Unterhaltung und Überschuss.

Die Geisteswissenschaften haben da ein Programm, das marketingtechnisch nicht funktionieren kann, obwohl das tobende Leben interessanter ist als gaming. Beim gaming haben wir, emotional gesehen, ein recht einfaches Schema, der Gamer will gewinnen, etwa dadurch, dass er viele virtuelle Monster abknallt, aber einen Überschuss kann die Gaming Industrie nicht bieten.

Die Geisteswissenschaften suchen nach Wahrheit, die interessiert aber nun mal gar nicht. Eine Wahrheit ohne Bedeutsamkeit interessiert nicht, aber Bedeutsamkeit ohne Wahrheit, interessiert. Mag sein, dass die akademischen Geisteswissenschaften ein bisschen intelligenter sind, als Zeitschriften à la https://www.philomag.de, aber nicht wesentlich. Philomag ist auf der Suche nach der Wahrheit, in jedem Heft wird da tiefsinnig sinniert.

Augenblick verweile, Können wir ganz im Moment leben, ohne aus der Zeit zu fallen?
Wo endet meine Verantwortung?
Wer ist mein wahres Selbst?
Was tun?
Gibt es einen guten Tod?
Macht meine Arbeit noch Sinn?
Braucht mein Leben ein Ziel?
Gespräch mit Michel Houellebecq: Gott will mich nicht
etc. etc. etc.

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