Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu
Und mit BEDEUTUNG auch gefällig sei?
Faust, Vorspiel auf dem Theater
Das Grundmuster der Debatte über die Stellung der Geisteswissenschaften in der Gesellschaft finden wir schon im Vorspiel auf dem Theater in Goethes Faust. Der Unterschied liegt lediglich darin, als zumindest zwei an der Diskussion Beteiligten, der Direktor, die lustige Person um Ausgleich bemüht sind. Der Dichter veharrt auf Fundamentalopposition. Die Position ist nicht falsch, ein prominenter Vertreter dieser Richtung is Theodor W. Adorno. Bei Theodor W. Adorno sind die Artefakte der Kulturindustrie geradezu das Gegenteil von Kunst. Indem sie dem Konsumenten genau das liefert, was dieser spontan erfasst, betrügt sie ihn genau um das, was Kunst eigentlich liefern sollte, den Überschuss, die Überschreitung, Verdichtung, Transzendenz etc. wenn man mal mit so ganz ungefähr beschreiben will, was Kunst eigentlich bewirken soll und was schwer zu fassen ist und auch der Dichter nur sehr vage umschreibt. Die Sprache gerät da etwas an ihre Grenzen. Wobei der Dichter hier auch noch widersprüchlich ist. Zum einen geht er davon aus, dass seine Kunst hermetisch ist, von der Menge, von der er sich fern hält, nicht verstanden wird,
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht
und andererseits wird er doch irgendwie verstanden
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
Verdrießlich durcheinander klingt –
Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten?
Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
Soziologisch gesehen können wir davon ausgehen, dass das meistens möglich ist, Sender, also Dichter / Maler / Musiker etc. und Rezipient doch kommunizieren können, denn beide machen ähnliche Welterfahrungen und manche Erfahrungen, wie eben die, die dem Faust zugrunde liegen, sind eben ein paar Hundert Jahre lang ähnlich.
Der Einklang, der aus dem Busen dringt, die Welt zurücke schlingt, dem Lebensfaden, der gleichgültig abgespult wird, einen Sinn zu geben, dem Einzelnen Bedeutung geben, Leidenschaften entfachen, etc. etc. sind Metaphern für das, was Kunst leisten soll. Die entscheidende Frage, ob Kunst intuitiv verstanden wird, das setzt voraus, dass der Horizont der Welterfahrung beim Sender, also dem Dichter, und dem Empfänger, also den Leser / Hörer, mehr oder weniger derselbe ist, oder eine intellektuelle Durchdringung bedarf, das wäre dann Arbeit, lässt er allerdings offen. Berühmt ist dieses Zitat von Th.W.Adorno:
Der Bürger wünscht die Kunst üppig und das Leben asketisch; umgekehrt wäre es besser.
Th. W. Adorno geht also davon aus, dass das authentische Kunstwerk ein Gegenentwurf zum „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ ist. Dafür reicht es schon, wenn Kunst dem Leben etwas hinzufügt, was diesem fehlt. Das trifft selbst noch in der Negation des Bestehenden zu, denn die Negation bewahrt das Gedächtnis des Gegenteils. Der Gegenentwurf ist allerdings keine spontane Eingebung, sondern der Prozess eines Individuums, das den Verhältnissen, wenn auch unbewusst, überdrüssig ist. Die so ausgelöste Suche, ist im weitesten Sinne Arbeit und die Rezption ist auch wieder Arbeit. Anders formuliert: Die Welterfahrung ist also nicht spontan dieselbe, sondern das Ergebnis von Arbeit. Das mag alles sogar richtig sein, marketingtechnisch aber schlecht, denn die Wenigsten werden Arbeit oder finanzielle Mittel aufwenden, um etwas zu bekommen, was kaum greifbar ist und bei dem nicht mal garantiert ist, dass es subjektiv überhaupt existiert, denn nicht alles, was sich entschlüsseln lässt, ist dann auch subjektiv bedeutsam. Das mit der Arbeit wird also definitiv kein business. Vermutlich traut Adorno der reinen „Intuition“, also dem spontanen Erfassen, nicht über den Weg, weil das, was spontan daherkommt, letztlich gesellschaftlich determiniert ist, also durch den Zeitgeist determiniert ist.
Im Gegensatz zur Glotze, wo man auch mit dem zweiten Auge nur das sieht, was man schon kennt, und z.B. in unendlich vielen Talk Shows unendliche viele Binsen erzählt werden, hat aber der Direktor, der letztlich finanziell haftet, noch Ambitionen. Die Misslaunigkeit des Dichters kann er schon nachvollziehen, will aber den Überschuss in die Unterhaltung verpacken.
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.