staunen, nicht ärgern

Ist extrinsische Motivation affirmativ?

Von extrinsischer Motivation spricht man, wenn ein Verhalten darauf abzielt, etwas zu erhalten, was dann gegen etwas getauscht werden kann. Liest ein Schüler z.B. die Judenbuche von Annette von Droste-Hülshoff, weil die Judenbuche gerade auf dem Lehrplan steht, kann er einer Sanktionierung dadurch entgehen, indem er zumindest die Zusammenfassung bei Wikipedia liest. Die Wahrscheinlichkeit für eine Belohnung, also ein gute Note, steigt, wenn er das Original liest. In beiden Fällen ist das Werk aber an seine Lebenswirklichkeit nicht anschlussfähig, so dass der Inhalt nach drei Wochen vergessen ist. Von intrinsischer Motivation würde man sprechen, wenn ein Eremit in einer Höhle die Bibel studiert und auf Erleuchtung hofft.

Bei der extrinsischen Motivation geht es also darum, von irgend jemandem belohnt zu werden oder eine Sanktionierung zu vermeiden. Ziel der extrinsisch motivierten Haltung ist es also, entweder etwas von jemandem zu erhalten, Geld, Anerkennung, Sicherheit, eine Ware, höhere Gehaltsgruppe, sozialer Aufstieg etc., oder eben eine Sanktionierung, Kündigung, Herabsetzung, Kürzung des Gehaltes, Prestigeverlust etc. zu vermeiden. Die extrinsische Motivation gibt es also nur in der Gesellschaft. Also zumindest zwei Personen müssen vorhanden sein. Ein Robinson Crusoe ist auschließlich intrinsisch motiviert. Es gibt ja niemenden, den er z.B. mit seinen Lateinkenntnissen beeindrucken kann. In einer Gesellschaft kann man einer sinnlosen Tätigkeit nachgehen, wenn man dafür etwas erhält, im Normalfall Geld, dass man dann gegen etwas austauschen kann, bzw. etwas tun, was die Sanktionierung durch die Gesellschaft verhindert. Bei Robinson Crusoe ist das anders. Sollte er die Politeia von Platon aus dem Wrack gerettet haben, wird er diese nur lesen, wenn es ihn interessiert. Imponieren kann er ja niemandem und er wird auch nur so viele Fische fangen, wie er essen kann, denn da ist niemand, mit dem er Handel treiben könnte.

Es stellen sich jetzt mehrere Fragen.

1) Welche Art der Motivation dominiert?
2) Ist extrinsische Motivation das gleiche wie der homo oeconomicus?
3) Zementiert extrinsische Motivation die Verhältnisse?
4) Führt extrinsische Motivation letztlich zur instrumentellen Vernunft?
5) Inwieweit hat die intrinsische Motivation disruptiven Charakter?

1) Welche Art der Motivation dominiert?

Die Frage lässt sich relativ leicht beantworten. Das Thema war eigentlich schon mal da: https://theatrum-mundi.de/wie-bringt-man-eine-gesellschaft-auf-linie/. Bei der extrinsischen Motivation setzt die Gesellschaft die Regeln und regelkonformes Verhalten wird belohnt, regelwidriges Verhalten sanktioniert. Wir sehen ohne weiteres ein, dass dies umso mehr der Fall ist, je höher die Belohnungen ausfallen und je schärfer die Sanktionen und besonders schön sehen wir das in autoritären bzw. totalitären Staaten. Die Frage ist also nur, wie stark die Belohnungen sein müssen bzw. wie scharf die Sanktionen um ein bestimmtes Verhalten herbeizuführen. Bedauerlicherweise müssen weder die Sanktionen besonders scharf noch die Belohnungen besonders groß sein, um ein regelkonformes Verhalten, bzw. ein Verhalten das gesellschaftlich akzeptiert ist, zu erzwingen. Man muss im Grunde nicht viel tun, um sich der Unterstützung autoritärer bzw. totalitärer Regime zu entziehen. Damit der Österreicher die ganze Republik auf Linie bringen konnte, brauchte es nicht viel. Die Ingenieure, die die Panzer, Flugzeuge, Schiffe etc. bauten, hätten auch schlicht sagen können, dass sie dafür zu blöd sind. Die Piloten, die die Stukas flogen, hätten schlicht behaupten können, dass sie Höhenangst haben oder irgendwas in der Art. Die Generäle hätten ein schlichte Unfähigkeit für Organisation offenbaren können etc. etc.. Vermutlich teilten nicht mal allzu viele die Werte, wollten aber Geld, Einfluss, Macht, Prestige etc.. Oder eben das Kaffeservice der nach Auschwitz deportierten jüdischen Familie, die Professur, des abgesetzten Professors mit jüdischem Hintergrund und erfreulich war für Juristen, dass die Kollegen mit jüdischem Hintergrund nach 1933, also nach Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, nicht mehr anwaltlich tätig sein durften. Die Verweigerung hätte also schlicht im Verzicht auf ein bisschen Geld, Ansehen, Karriere etc. bedeutet und, hätten alle das gemacht, nicht mal das.

Die extrinsische Motivation ist idealtypisch, also rein von der Definition her, erstmal völlig werteneutral, bzw. ist nur ausgerichtet auf das herrschende Wertesystem. In autoritären oder totalitären Systemen haben wir dann ein „race to the bottom“. Es herrscht, wie Ökonomen das ausdrücken, die Grenzmoral. Gewinner ist derjenige, der den niedrigsten moralischen Standard hat.

 

Würde die intrinsische Motivation funktionieren, hätte es autoritäre oder totalitäre Systeme nie gegeben. (autoritär = nur aktiver Widerstand wird sanktioniert, totalitär = es wird eine totale Identifikation mit dem Regime gefordert, die alle gesellschaftlichen Bereiche, Wirtschaft, Sport, Kultur, etc. durchdringt) Wer was anderes behauptet, müsste beweisen, dass die Unterstützung des NS-Regimes auf innerer Überzeugung beruht hat. So Ansätze gibt es, z.B. Daniel Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker, aber daran glaubt der Autor nicht. Für den Konstrukteur von Panzern, etwas Karl Saur, war wohl der Gehaltscheque am Ende des Monats wesentlich entscheidender, als die Bekämpfung des „internationalen Finanzjudentums“, die Eroberung von Lebensraum im Osten und was es da sonst noch gab. Die Bindung an eine Ideologie dürfte in der Regel sehr schwach sein und die Stärke dieser Bindung hängt ab von der Belohnung bzw. der Sanktion. Ab einer gewissen Menge an Kohle, spielt diese Bindung dann keine Rolle mehr. Antisemitismus als maßgebliches Motiv hätte geradezu was beruhigendes. Es wäre dann ein singuläre Erscheinung, die man konkret bekämpften kann. Die Leichtigkeit aber, mit der man eine Gesellschaft auf Linie bringen kann, ist da schon viel beunruhigender.

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