staunen, nicht ärgern

Ist die antizyklische Fiskalpolitik tatsächlich die Kernaussage des Keynesianismus?

Die durch alle Bereiche der Lehre, Berufschule, Wirtschaftsgymnasium, Uni, verbreitete Erzählung geht so: Arbeitslosigkeit entsteht zum einen, wenn die Nachfrage zwar da ist, aber aufgrund von Fachkräftemangel nicht das produziert werden kann, was die Leute haben wollen. Das nennt sich dann auch strukturelle Arbeitslosigkeit. In diesem Fall nützt es wenig, naheliegenderweise, wenn der Staat noch zusätzlich als Nachfrager auftritt, weil das, was er haben will, schlicht nicht produziert werden kann. An diese strukturelle Arbeitslosigkeit glaubt der Autor dieser Zeilen jetzt nicht wirklich, bzw. diese Art der Arbeitslosigkeit kann eigentlich, bei gegebener Flexibilität, nur kurzfristig bestehen. Selbst bei hochqualifizierten Tätigkeiten, hochspezialisierte Ärzte, hochqualifizierte Programmierer, Ingenieure in der Produktentwicklung etc.. dauert die Ausbildung maximal acht Jahre. Normalerweise sind das zwischen 3 Jahren (Ausbildung) und 5 Jahren (Master). Anhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit, also Mobilitätshemmnisse, mag nun viele Gründe haben, Lobbygruppen (z.B. Lehrer, die gar kein wirkliches Interesse haben, den Mangel zu beseitigen), ein Ausbildung und Bildungssystem, das am Bedarf vorbei weiterbildet, mangelnde Mobilität des Faktors Arbeit innerhalb der EU, inhaltlich nicht sinnvolle Zugangsbeschränkungen (Handwerksrolle), bürokratische Hemnisse und ähnliches. Von Fachkräftemangel reden wir aber inzwischen schon seit gefühlten 10 Jahren. Wir hatten also, um mal ein Beispiel zu nennen, 10 Jahre Zeit, die Anzahl der Studienplätze im Bereich Jura zu reduzieren, da herrscht weiß Gott kein Mangel, und im Bereich Medizin aufzustocken. So teuer, wie allgemein behauptet, da kursieren die verrücktesten Zahlen, ist ein Medizinstudium nämlich nicht. Selbst private Unis können das für 120 000 Euro anbieten, in Ungarn ist das, auf Englisch, auch für 60 000 Euro zu haben. Die Frage ist, ob die Gruppen, die von der Knappheit des Angebots profitieren, sich tatsächlich für eine größere Mobilität einsetzen werden. Wie dem auch immer sei, die strukturelle Arbeitslosigkeit ist in engerem Sinn gar kein ökonomisches Problem. Dabei geht es eher um Didaktik, wie man Ausbildungsberufe / Studium passgenau organisiert, Mobilitätshemmnisse abbaut und ähnliches.

Zu den Problemen auf der Angebotsseite könnte man noch die hier geschilderte Problematik zählen: https://theatrum-mundi.de/vermoegensverteilung-und-effizienz/, https://theatrum-mundi.de/geraet-die-marktwirtschaftliche-ordnung-an-ihre-grenzen/. Es kann durchaus passieren, dass die Akteure der marktwirtschaftlichen Ordnung mit deren Komplexität überfordert sind und folglich die Mittel in Bereichen alloziiert werden, die strategisch betrachtet irrelevant sind. Das chinesische Modell, wo per Ordine Mufti strategische Schwerpunkte gesetzt werden, kann also der Marktwirtschaft überlegen sein.

Das Gegenstück zur angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ist dann die antizyklische Wirtschaftspolitik und eben selbige verbindet man mit dem Namen Keynes, obwohl eigentlich völlig unklar ist, ob das die Kernaussage des Keynesianismus ist. Explizit ist die antizyklische Wirtschaftspolitik im Stabilitätsgesetz von 1968 festgeschrieben: https://www.gesetze-im-internet.de/stabg/BJNR005820967.html

Die Suada geht grob vereinfacht so: Ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu gering, soll der Staat durch eine Ausweitung der Staatstätigkeit eine Ausdehnung der Nachfrage anstreben und im Falle einer Nachfrage, die das Angebot übersteigt, und damit letztlich inflationär wäre, sich zurücknehmen. Da stellen sich dann zwei Fragen: a) stimmt die Logik dahinter und b) ist das wirklich die Kernaussage des Keynsianismus?

Der durchschnittliche Auslastungsgrad der Wirtschaft, über alle Branchen gemittelt, beträgt etwas 80 Prozent. Anders formuliert: Eine das Angebot übersteigende Nachfrage mag es irgendwann in der Geschichte mal gegeben haben, ist aber eigentlich ein exotischer Fall, der sich nur aus den Eingangs geschilderten Problemen ergeben kann. Die Realität lernt uns eigentlich was ganz anderes. Selbst bei einer enormen, ruckartigen Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wie er etwa nach dem Fall der Mauer eingetreten ist, wo von einem Tag auf den anderen die Produktion in der DDR komplett zusammengebrochen ist und die gesamte ehemalige DDR quasi schlagartig von der BRD mitversorgt wurden, waren die Wirkungen überschaubar. Kurzfristig erhöhte sich die Inflation und kurzfristig wurde die Leistungsbilanz negativ, aber nach zwei Jahren war der Drops schon wieder gelutscht. Für diesen kurzen Zeitraum gab es sogar sowas wie eine strukturelle Arbeitslosigkeit. So viele Autos, Waschmaschinen, Stereoanlagen, Klamotten etc.. konnte die BRD gar nicht produzieren, das musste teilweise aus dem Ausland herangekarrt werden und der Export konnte den erhöhten Import so auf die Schnelle auch nicht kompensieren. Der Fall ist aber historisch einmalig. Der Autor dieser Zeilen wüsste jetzt nicht, wo Keynes in der General Theory of Employment, Interest and Money diesen Fall, also eine Nachfrage, die das Angebot übersteigt, erwähnt haben soll. Also von antizyklisch redet Keynes nie. Maximal, so könnte man das interpretieren, betrachtet er den Fall einer Nachfrage, die zu gering ist, um das gesamte Produktionpotential auszuschöpfen.

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