staunen, nicht ärgern

Ist der Stil die Physiognomie des Geistes?

Quelle: Carl Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre

Neutral und weniger schwülstig hätten wir sowas.

„Die Gründe, warum am Nutzen der Ökonomie als Wissenschaft, in krassem Gegensatz zur allgemeinen Anerkennung der Bedeutung der Naturwissenschaften, gezweifelt wird, sind offensichtlich. Die Bedeutung, die der Wirtschaft zugemessen wird, ist zwar größer als jemals zuvor und die Bereitschaft, wissenschaftliche Kenntnisse praktisch zu nutzen ebenfalls größer als jemals zuvor, allerdings interessieren sich die Wirtschaftsubjekte nicht für die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften und verlassen sich in der Praxis auf ihre Lebenserfahrung, was sich durch deren Leichtsinn, Unfähigkeit oder Arrganz nicht erklären lässt. Der Grund hierfür ist der Zustand, in dem sich die Ökonomie als Wissenschaft derzeit befindet.“

Nebenbemerkung: Das von Carl Menger 1871 beschriebene Problem haben die Wirtschaftswissenschaften heute noch, siehe www.economics-reloaded.de.

Das Problem mit dem Text von Carl Menger ist, dass der ganze Schwulst, freudige Anerkennung (Annerkennung alleine würde reichen), allgemeineres und tiefer gefühltes, unsere Wissenschaft (schlicht Wirtschaftswissenschaften würde reichen), tiefere Einsicht, wahre Wissenschaft (gibt es auch unwahre Wissenschaften?), in einem wissenschaftlichen Text nichts zu suchen hat. Wenn er der Meinung ist, dass die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften geeignet sind den Zielerreichungsgrad eines wie auch immer definierten Zieles zu steigern, dann sollte er das einfach darstellen. Der Schwulst vermittelt eher den Eindruck, dass er sich noch selber von der Bedeutung der „wahren Wissenschaft“ überzeugen muss. Anders formuliert: Er drischt Phrasen und es ist völlig unklar, mal abgesehen davon, dass es ökonomisch Nonsense ist und nur bei reinen Tauschmärkten stimmt, es völlig unklar bleibt, was der Praktiker mit der Erkenntnis, dass sich der Wert eines Gutes allein aus dem Nutzen ableitet, den es stiftet, konkret anfangen soll. Der schwülstige Schwurbelstil soll über die Tatsache hinweg täuschen, dass er de facto gar nichts zu sagen hat.

Auf einen solchen Zusammenhang stellt Schopenhauer wohl ab, fraglich ist nur, ob der Stil hier das Problem ist. Die Sätze von Carl Menger sind zwar reichlich verschwurbelt, das wäre eine Liga, die man unter Stil subsumieren könnte, aber solche verschwurbelten Sätze sind in einem anderen Kontext durchaus akzeptabel. Ähnlich verschwurbelt schreibt z.B. E.T.A. Hoffmann, aber da passt es. Die empirische Belastbarkeit der Thesen von Schopenhauer scheitert also daran, dass er Stil nicht definiert. Intuitiv können wir aber sagen, dass wir ein Problem haben mit dem Stil, wenn selbiger nicht in den Kontext passt. Das ist dann so was ähnliches wie overdressed und underdressed. Die Klamotten an sich sind ok, aber, zumindest aus der Sicht derer, die die jeweilige Gruppe konstituiert, nicht adäquat.

Am ehesten ließe sich Stil an den verwendete Wörtern fest machen. Wir wissen, wer Wörter wie cool, abgefahren, saugut verwendet. Wir wissen, dass Wörter wie Idionsynkrasie, Aberration, allozieren etc. nur in bestimmten Texten auftauchen und können uns von daher ein Bild machen vom Verfasser des Textes. Jenseits solcher offensichtlichen Zusammenhänge, wird es schwierig, Stil zu definieren und die meisten Dinge, an die man in diesem Zusammenhang decken könnte, schwülstige Sprache, um den heißten Brei herumreden bzw. herumschreiben, Dialekt, etc. würde man gar erst mal gar nicht mit Stil assoziieren.

Das Thema ist aber eigentlich ein ganz anderes, was deutlicher wird, wenn wir Stil allgemeiner fassen, als Kleidungsstil, die Art, sich einzurichten, die Art zu reden, etc.. Stil haben wir eigentlich immer dann, wenn wir es mit Phänomenen zu tun haben, die eigentlich, auf der rationalen Ebene, nicht auf etwas Inhaltliches verweisen, die aber trotzdem mit etwas Inhaltlichem verbunden werden. Anders können wir Stil nicht denken. In dem Moment, in dem aufgrund von empirischen Daten oder aufgrunf von logischen Schlussfolgerungen eine Beziehung herstellen lässt, haben wir es nicht mehr mit Stil zu tun, sondern mit harten Fakten. Stil ist eine ganz andere Baustelle.

Um das an einem extremen Beispiel zu erläutern: Kleidet sich jemand als Punk, dann vermuten wir, dass er nicht gerade ein treuer Diener des Staates ist, obwohl auf der rein logischen Ebene zwischen einer Irokesen Frisur und der Einstellung zum Staat kein Zusammenhang besteht. In diesem konkreten Fall stellen wir eine Beziehung her aufgrund unserer Erfahrungen, was allerdings immer noch nicht erklärt, wie dieser Stil zustande kam.

Fraglich ist, ob die Einordnung eines Stils tatsächlich immer auf Erfahrung beruht. Süßigkeiten für Kinder haben eine deutlich knalligere Verpackung als Süßigkeiten, die eher von Erwachsenen konsumiert werden, bei Getränken für Kinder besteht selten ein Zweifel darüber, von wem sie konsumiert werden sollen, wohingegen Weinflaschen auf elegant, edel, hochwertig etc. getrimmt sind und das kann man sich jetzt schon fragen, ob die Einordnung des Stils tatsächlich auf Erfahrung beruht.

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