staunen, nicht ärgern

Hat Mario Vargas Llosa Recht? virtual reality

Der Essay von Mario Vargas Llosa „Historia de un deicidio“ / „Geschichte eines Gottesmordes“ wird allgemein als grandioses Werk gefeiert. Der Autor dieser Linien würde sagen, das Teil ist ziemlich trivial. Es erzählt verklausuliert die alte Suada von der Literatur als Flucht; als Flucht vor einer als unerträglich, aus welchen Gründen auch immer, z.B. Langeweile, Monotonie des Alltags, beengte Lebensverhältnisse etc. empfundenen Realität. Die These ist, dass „cada novela“, also jeder Roman, die tatsächliche Welt durch eine passendere, fiktionale Welt ersetzt.

“Cada novela es un deicidio secreto, un asesinato simbólico de la realidad” / „Jeder Roman ist ein heimlicher Gottesmord, ein symbolischer Mord der Realität“.

Das sieht der Autor dieser Zeilen mit Goethe exakt andersrum: Dem Tüchtigen, ist diese Welt nicht fremd.

Die Realität ist eine ungemein spannende, komplizierte und faszinierende Angelegenheit. Fiktional sind auch die ganzen Fernsehserien über honorige Polizisten mit familiären Problemen, Rechtsanwälten, die selbstlos für Gerechtigkeit kämpfen, Ärzte, die sich nur um das Wohl ihrer Patienten kümmern und keinerlei finanzielle Interessen haben, über irgendwelche Winzertöchter, deren ganzes Herz an ihrem Weinberg hängt und was es sonst noch alles so gibt. Die Realität wäre da viel spannender. Ein Film über Radikalisierungstendenzen bei der Polizei oder Rechtsanwälte , die schlicht immer gewinnen, denn das geht nach RVG und ist von der Leistung unabhängig, über Ärzte, die sich wenigt Gedanken darüber machen, ob die Vergütung nach GOÄ bei Abwesenheit jeder Art von Controlling das Gesundheitssystem nicht letztlich sprengt, wären wesentlich spannender. Der Autor dieser Zeilen hat z.B. mal aus Jux und Tollerei einen Prozess geführt, siehe www.recht-eigenartig.de. Das war faszinierend, was man da über Justitia alles erfährt. Wöllte man jetzt die psychische Verfassung der handelnden Akteure, also vor allem Richter und Rechtsanwälte, tiefer einsteigen, müsste man eine Roman schreiben, was aber wiederum echte Begabung erfordert. Reine Fiktion ist ziemlich einfach.

Dem Autor ist auch völlig unklar, warum manche Leute in eine virtual reality abtauchen wollen, mit oder ohne Helm; mal ganz abgesehen davon, dass die virtuelle Realität keine ist, sondern lediglich ein Abbild des Originals. Vermutlich haben die Leute, die sich für virtuelle Welten begeistern, nur begrenzte Erfahrung mit der real existierenden Welt.

Filme wie The Bank, https://de.wikipedia.org/wiki/The_Bank_%E2%80%93_Skrupellos_und_machtbesessen, The Wolf of the Wall Street, https://de.wikipedia.org/wiki/The_Wolf_of_Wall_Street_(2013), The big short, https://de.wikipedia.org/wiki/The_Big_Short_(Film) machen z.B. Börsenspekulationen zu einer spannenden Unterhaltung und solange es sich um rein kausale Zusammenhänge handelt, liegen sie auch weitgehend richtig. Nicht erklärt wird, das wäre die Nuss,die knacken wäre, wie die handelnden Akteure zu dem wurden, was sie sind. Fiktionen bergen kein Geheimnis. Bei der Realität haben wir immer einen unerklärlichen Rest. Diesen Rest aufzulösen, kann durchaus sinnvoll sein, ist aber keine Gegenwelt zur Realität, sondern das genaue Gegenteil. Selbige soll tiefer verstanden werden.

Mit seiner „Flucht aus der Realität“ landet Mario Vargas Llosa bei der von ihm immer wieder kritisierten prensa amarilla, also der Boulevardpresse. Die Boulevardpresse beschäftigt sich tatsächlich nicht mit der Realität der Menschheit. Die schlichte Frage, die man sich bei englischen Prinzen stellen kann, die eine Prinzessin heiraten, mit der sie nichts anfangen können und nebenbei ein Techtelmechtel haben mit einer anderen Frau, ist die: Warum in drei Teufels Namen haben die zwei geheiratet? Die Beantwortung dieser Frage wäre zwar nichts was die Menschheit unbedingt braucht, würde aber in das tobende Leben führen. An dieser Stelle haben wohl weite Teile der englischen Gesellschaft einen Knoten im Hirn.

Mit reinen Fiktionen werden wir beballert, wenn wir die Website einer Tageszeitung anschauen, die Glotze anmachen oder, so was gab es früher mal, ein Magazin lesen. Je nachdem wie viel Realität da noch vorhanden ist, schwankt das zwischen reiner Fiktion (Bunte) oder Roman mit Einsprengseln an Realität (Spiegel). Das ganze Konglomerat bildet dann eine Riesenblase, bei der die FAZ über den letzten Tatort in der Glotze diskutiert und der Stern über die zehntausendste Diskussion von May Britt Illner über Corona. Gehen die Themen aus, gibt es viel Fußball, wobei erstaunlich ist, dass denen die Themen ausgehen. Besonders häufig im Sommerloch, also wenn die Volksvertreter sich in der Sonne baden.

Das Themenspektrum ist etwas eingeschränkt, weil nur das Konglomerat ein Thema pushen kann oder Themen selber setzen teuer ist, siehe https://theatrum-mundi.de/wie-wird-man-eigentlich-in-diesem-unseren-lande-professor-norbert-bolz/. Man könnte z.B. meinen, dass 630 Millionen Euro Steuergelder, die das Bundesminsiterium für Bildung und Forschung jetzt durch den Schornstein pustet, siehe https://www.nationale-bildungsplattform.net, ein spannendes Thema wäre, aber da müsste sich die Jornaille ja einarbeiten und recherchieren. Ein Bericht über die neuesten Eskapaden von Bushido ist da schneller geschrieben und wenn alle darüber schreiben, entsteht irgendwann der Eindruck, dass die ehelichen und sonstigen Beziehungen Bushidos irgendwie relevant sind. Tatsächlich sind sie so relevant wie „Jimmy ging zum Regenbogen“ von Konsalik (oder wie immer der Typ hieß).

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