staunen, nicht ärgern

Bemerkung zur menschlichen Sprachverarbeitung

Goethe, Torquato Tasso

Der Renaissance Dichter Torquato Tasso, zumindest in der Version von Goethe, setzt also ein starkes inneres Erleben den gesellschaften Usancen entgegen. Goethe lässt hier an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig.

und solange du das nicht hast
dieses stirb und werde
bist du nur ein trüber Gast
auf der schönen Erde

Es geht ihm also ganz elementar um die subjektive Haltung der Welt, um Gefühle, die so übermächtig sind, dass sie auch das Leben in Frage stellen. Werther hat kein Problem mit der Sprache, wie Heidegger sich das vorstellt. Er hat ein massives Problem mit der Welt. Goethe beschreibt tatsächlich Probleme mit der Sprache, die seine Welterfahrung nicht ausdrücken kann, siehe https://theatrum-mundi.de/sprachkritik-in-goethes-faust/, aber der Trick geht andersrum, also Heidegger sich das vorstellt. Der Zugang zur Welterfahrung wird ihm versperrt durch die verwaltete Welt, an die er sich anpassen muss oder untergeht.

die ihr das Leben gabt, ihr himmlischen Gefühle
erstickt in diesem irdischen Gewühle

Es ist nicht die Sprache, die ihm den Weg zu Authentizität und Unmittelbarkeit versperrt, sondern die verwaltete Welt. Über die Sprache hat er keinen Zugang zur verwalteten Welt, wie Heidegge sich das vorstellt. Was Heidegger sich da vorstellt, ist völlig unrealistisch, abstrahiert völlig von der Gesamtsituation, in die ein Mensch in einer bestimmten Situation eingebettet sein kann. Nicht die Sprache versperrt den Weg und die Möglichkeit zur Individualisierung, wie Heidegger sich das vorstellt, sondern die konkrete Gesamtsituation eines Individuums zu einem konkreten Zeitpunkt. Goethe diskutiert tatsächlich, durch sein ganzes Werk hindurch, authentisches Erleben, also Ergebnis eines Indidividualisierungsprozesses, sprachlich zu vermitteln, aber der Individualisierungsprozess ist das Problem, nicht die Sprache.

Man kann sich das auch anders klar machen. Wäre es die Sprache, die den Zugriff auf die Authentizität versperrt, dann hätte sie Zugriff auf allen Inhalte, was wiederum bedeuten würde, dass wir Malerei, Musik, Ballett, gar nicht bräuchten, denn die Welterfahrung, die sie gewähren, wäre auch mit sprachliche möglich, was aber nicht möglich ist. Es gibt keine Sprache, mit der wir Zugriff haben auf das Licht in einem Bild des Impressionismus und es gibt keine Sprache, die den Aufbruch und Durchmarsch in der Symphonie aus der neuen Welt von Antonín Dvořák erfahrbar macht. Dieser Tanz kann einen ganz sprichwörtlich sprachlos lassen.

Wenn man ein Beispiel sucht, für eine verdinglichte Sprache, die nicht mal danach ringt die Welterfahrung zu umschreiben, dann ist das Heidegger Sprech hierfür das perfekte Beispiel. Vermutlich ist es auch genau diese enge Perspektive, die ihn für den Nationalsozialismus anfänglich gemacht hat. Denken in komplexen Zusammenhängen, Empathie, Intuition, sich einfühlen können, tiefere Empfindungen, wesentliche Eigenschaften, die für die Individualisierung unabdingbar sind, fehlen bei ihm völlig. Was wohl auch daran liegt, dass er sein ganzes Leben in einer akademischen Blase verbracht hat und über keinerlei Erfahrung außerhalb der Blase verfügt. Sein Bezugspunkt war Todtnauberg. Das Dorf hat er geistig nie verlassen.

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