staunen, nicht ärgern

Bemerkung zur menschlichen Sprachverarbeitung

Wie sie allerdings mit der Methode Politik, Hoffnung, Abstraktionsgrad, Vertrauen etc. etc. abbilden wollen, bleibt ein Rätsel. Der Leser kann jetzt zwei Stunden meditieren und sich ein Bild zu dem Wort Politik vorstellen, die Befürchtung ist, dass ihm das nicht gelingen wird. Vermutlich erscheint vor seinem geistigen Auge irgendein Politiker, aber das ist eben nicht Politik.

Lassen wir also den ganzen Schwachsinn beiseite, können wir sagen, dass ein Wort, egal ob Substantiv, Adjektiv, Adverb, Präposition, Konjunktion, Pronomen, Artikel oder was auch immer auf eine Assoziationswolke stößt, wobei hier das Problem schon anfängt, denn der ganze Tratsch à la Saussure ist auch Blödsinn. Ein signifiant, ein Bezeichnendes, zielt nicht auf ein konstantes signifié, Bezeichnetes, sonder auf eine Assoziationswolke, die von Mensch zu Mensch, in Abhängigkeit von der Erfahrung, sehr unterschiedlich sein kann. Fragt man 100 Leute nach einer Definition von Politik, dann erhält man höchstwahrscheinlich 200 Antworten. Es sei denn, die haben bei Wikipedia nachgeschaut und spucken aus, was sie dort gelesen haben. Noch schwieriger wird es, wenn wir die Leute fragen, was Ästhetik bedeutet. Das reicht dann von der Tussi, die besonders stylische Pumps total ästhetisch findet, bis zur ästhetischen Theorie von Th.W. Adorno.

Wenn Saussure feststellt, dass Wörter zwar fix mais arbitraire sind, also fest aber willkürlich, dass wir also nicht Stuhl sagen können, wenn wir Tisch meinen, dann ist das zwar richtig, aber entsetzlich banal und ziemlich schräg wird es, wenn er dann auch noch davon ausgeht, dass einem bestimmten Wort eine bestimmte Bedeutung zugeordnet ist. Ein Begriff wie Liebe zielt zwar bei allen Leuten, von fünfjährigen der seine Mutter liebt bis zu Dante, der Beatrice liebt, auf die gleiche Assoziationswolke, aber in dieser Wolke sind völlig verschiedene Inhalte.

Wir können allgemein eigentlich fast nichts sagen über Sprache und denken. Nachwollziehen können wir aber das: Wörter und noch mehr Begriffe, referieren eine Assoziationswolke und ohne die Referenz, könnten wir auf die Assoziationswolke nicht zugreifen. Wir könnten ohne den Begriff Hoffnung gar nicht über Hoffnung sprechen, weil wir auf die Assoziationswolke nicht zugreifen könnten. Mit dem Wort Hoffnung referieren wir irgendwas, jeder was anderes, und dann stellt das Gehirn startend bei diesem Punkt weiter Assoziationen her. Dem Autor dieser Zeilen fällt zu Hoffnung z.B. Ernst Bloch ein, Das Prinzip Hoffnung, und von da an stellt er weitere Überlegungen an. Insofern kann sich der Autor und jeder Mensch sich noch beim Denken zuschauen, aber warum der Mensch immer weitere Assoziationen zu einem Referenzpunkt entwickeln kann, ist völlig unklar. Die Möglichkeit, sich beim Denken zuzuschauen ist also äußerst begrenzt.

Womit dann schon das erste Problem der sprachlichen Informationsverarbeitung durch das Gehirn adressiert ist. Die subjektive Bedeutung eines Wortes, also die subjektive Bedeutung desjenigen, der ein Wort hörend / lesen empfängt und die Bedeutung eines Wortes für denjenigen, der es sprechend oder schreibend sendet, muss keineswegs dieselbe sein, was wir bei politischen Kampfgebriffen, wie Marktwirtschaft, Liberalismus, Marktradikale, Kapitalismus, Kommunismus etc. auch sofort merken. Je nach Welterfahrung und subjektiver Einstellung zur Welt verbinden 100 Leute damit 100 verschiedene Vorstellungen, die sich auch noch im Laufe des Lebens ändern können. (Ein Kommunist z.B. hat noch nie die Berliner Verwaltung von Innen gesehen. Das ist reiner Kommunismus. Job auf Lebenszeit, Gehalt unabhängig von der Leistung, niemand ist verantwortlich für irgendwas, systemtreue wird belohnt, Kritik sanktioniert.)

Damit haben wir gleich das nächste Problem adressiert. Je mehr ein Wort abhängt von der subjektiven Haltung bzgl. des Objektes, desto divergierender die referenzierte Assoziationswolke. Bei dem Wort Stuhl dürfte die Divergenz gegen Null gehen. Es mag Leute gehen, die auf Jugendstil Stühle stehen und andere, die es mehr mit Barock haben, aber im Hinblick auf die Frage, was ein Stuhl eigentlich ist, dürfte man sich einig sein. (Wobei genau genommen wahrscheinlich nicht mal das banal ist. Vermutlich haben Fans von Jugenstil und Bauhaus Stühlen auch eine grundsätzlich andere Haltung der Welt gegenüber, stehen eher „links“, während die Fäns von schweren Lederstühlen im Rokoko und Barock Stil eher „rechts“ sind. Vermutet jetzt der Autor mal so. Das ist aber kein sprachliches Problem mehr.) Bei dem Begriff Marktwirtschaft, nota bene, das ist dann kein Wort mehr sondern ein Begriff, weil der Begriff im Gegensatz zum Wort eine komplexe Welterfahrung voraussetzt, erzielt man nicht mal Einigkeit darüber, was das eigentlich ist. Wir sehen das darin, dass viele, um nicht zu sagen die meisten, Marktwirschaft und Kapitalismus synonym verwenden, obwohl es sich um zwei völlig verschiedene Dinge handelt. Marktwirtschaft bedeutet, dass die Resourcen Allokation dezentral über den Preismechanismus erfolgt, der wiederum vom Wettbewerb gesteuert wird. Marktwirtschaft bedeutet also maximale Unterwerfung unter den Wettbewerb, zugunsten des Verbrauchers und zu Lasten der Unternehmen. Kapitalismus meint, dass die Weltgeschichte durch eine immer weitere Akkumulation von Kapital getrieben wird, was objektiv Blödsinn ist, weil Kapital schlicht Geld ist und das druckt die EZB in rauen Massen, so es durch eine Produktion in der ZUKUNFT gedeckt ist. Geld ist nicht durch die Vergangenheit gedeckt, sondern durch die Zukunft.

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