staunen, nicht ärgern

Reinheit der Sprache ?

Es gibt Leute, die sind besorgt, unklar ist nur, um was sie sich sorgen. Der Verein deutsche Sprache, www.vds-ev.de, z.B. ist um die deutsche Sprache besorgt. Vor allem Anglizismen lassen deren Mitglieder in depressiver Angststarre verharren. Um was es eigentlich geht, ist unklar. Wahrscheinlich um so was ähnliches wie die Reinheit des Blutes. Also Einwanderer aller Art gefährden die Reinheit der Sprache, wobei man sich hiervon natürlich distanziert.

Der Verein ist natürlich europäisch unterwegs und sieht alle, die für die Reinheit anderer Sprachen eintreten, als Genossen. Bedauert wird die Dominanz des Englischen und getrauert wird, weil Deutsch nicht mehr in der Wissenschaft dominiert. (Was ja wiederum heißt, dass früher die anderen Sprachen das gleiche Problem mit Deutsch hatten, aber wenn Deutsch dominiert, ist das natürlich voll cool.)
Die zunehmende Verwendung von Anglizismen ist „mehr als eine Modeerscheinung, sie schwächt die kulturelle Eigenständigkeit der nichtanglophonen Länder.“ Alter Schalter! Ich weiß nicht mal, was kulturelle Eigenständigkeit ist. Offensichtlich bezieht sich der Begriff aber auf die Eigenständigkeit eines Kollektivs, also der Deutschen, Franzosen, Italiener etc.. Wenn aber das Kollektiv eine kulturelle Eigenständigkeit hat, impliziert dies, dass die Mitglieder des Kollektivs einen Teil ihrer Kultur aus dem Kollektiv beziehen. Das mag sogar stimmen, obwohl man das mit dem Kollektiv ja leicht übertreiben kann. Wenn alle das gleiche denken, denkt keiner mehr. Und, man erinnere sich. Über dem Orakel von Delphi stand erkenne dich selbst. Von erkenne die deutsche, französische, spanische kulturelle Eigenständigkeit stand da nix. So wie es da steht ist auf jeden Fall die kulturelle Eigenständigkeit des Kollektivs etwas Positives, denn es wird ja bedauert, dass selbige geschwächt wird. Wäre es ein Übel, wäre eine Schwächung ja günstig.

Die kulturelle Eigenständigkeit wird also irgendwie positiv gesehen. Aber was soll das konkret sein? Und wann genau geht die denn verloren? Gibt es sowas überhaupt? Und interessiert das jemanden?

Geht sie verloren, wenn am Flughafen info point steht, so dass auch des Deutschen nicht mächtige Passagiere den Weg zum Flieger finden? Geht sie, das ist dann vielleicht schon eine Nuance schärfer, verlorgen, wenn ein Typ uncool ist? Oder, Schreck lass nach, wenn die Leute Pink Floyd hören? Was ist, wenn die Leute Mario Vargas LLosa faszinierender finden, als Günter Grass? Oder bedroht nur Joseph Conrad kulturelle Eigenständigkeit? Wie viel Unreines darf denn in das Kollektiv eindringen und ist die Provenienz egal oder ist nur das Englische unrein? Vermutlich sind die Apologeten der Reinheit auf dem selben Tripp wie die Jungs von der Europa der Vaterländer Front.

Dagegen, also Teil der aufrichtigen Patrioten zu sein, wehren die sich zwar energisch, aber irgendwie bleibt das mit der kulturellen Eigenständigkeit unklar. Für die deutsche Sprache im Grundgesetz mit dem ganzen Tralala, der da dran hängt, also mehr deutsche Lieder in den Massenmedien, mehr Derrick und Co in der Glotze, Förderung des deutschen Schrifttums ist auch die AFD.

Man könnte ja auch genau umgekehrt argumentieren. Sprachgemeinschaften fördern institutionell die Schaffung einer Identität, z.B. dadurch, dass Deutsch Schulfach ist. Kann man machen, kann man lassen. Man könnte das Fach Deutsch auf splitten in allgemeine Linguistik und Literatur. Linguistik würde dann sich ganz grundsätzlich mit Sprache beschäftigen, also nicht mit Deutsch, und Literatur halt mit den Romanen und Gedichten, die prägend sind für das kollektive Bewußtsein der Menschheit. Also z.B. mit der kleinen Seejungfrau, dem Don Quijote, l’Albatros von Baudelaire, Pinocchio, die Dämonen von Dostojewky, Le jardin de lumières von Amin Malouf etc. etc.. Also beschäftigen könnte man sich auch mit den Dingen, die von China bis nach Argentinien, von Südafrika bis nach Finnland im kollektiven Bewußtsein verankert sind. Noch besser natürlich, wenn diese Inhalte eine zielführende message haben, auf die sich die Menschheit einigen kann. Das wäre vielleicht auch nicht das non plus ultra, weil Sprache eben auch den Zugriff auf eng beieinanderliegende Bewusstseinsinhalte gewährleistet, siehe https://theatrum-mundi.de/semantische-felder/, etwas, was wohl nur in einer Sprache gelingt, aber die kulturelle Eigenständigkeit scheint eher so was wie ein begrenzter Horizont zu sein, solange nicht klar definiert ist, was damit eigentlich gemeint ist. Kulturelle Eigenständigkeit, also ein Kollektiv mit gleichen Geschmäckern, Traditionen, Präferenzen, Zielen, Gewohnheiten scheint eher das Produkt staatlicher Initiativen zu sein. Realistischer dürfte allerdings sein, dass das Kollektiv nur eine geringe Bindungskraft hat. Die Geschäcker, Traditionen etc.. dürften sehr viel mehr von den wirtschaftlich / technischen Gegebenheiten abhängen, so dass sie sich weltweit angleichen.

Warum der Verein deutsche Sprache e.v. in diesem Zusammenhang ausgerechnet auf die Sprache abstellt, bleibt dessen Geheimnis. Genauso bedrohlich, eigentlich bedrohlicher, könnte man ja jede Erscheinung empfinden, die die Befindlichkeit des Kollektivs verändert. Also z.B. die Pizza, Baclava, Muffins oder Salsa, Rumba, Tango oder die Tatsache, dass es das Kollektiv in die Ferne zieht, es also lieber am Meer sitzt, als durch den Schwarzwald zu wandern etc..

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