staunen, nicht ärgern

Der Baum der Erkenntnis von Pio Baroja und Hoffnung

Das Teil hat einen Aufbau.

1) Definition was hier unter Hoffnung verstanden wird
2) Darlegen, dass es was anderes ist, als das, was Pio Baroja in dem Roman „El árbol de la ciencia“ beschreibt
3) Darlegen, warum Popper ganz fundamental falsch liegt

1) Definition was hier unter Hoffnung verstanden wird

Oh greife weiter, weiter Sturm
und nimm auf deine starken Schwingen
den höchsten Stern, den kleinste Wurm
uns endlich alle Heim zu bringen

Lenau, Faust

Denken die Leute an Hoffnung, dann denken sie an konkrete Prozesse und Vorgänge, von denen sie hoffen, dass sie sich in ihrem Sinne entwickeln. Die hoffen dann auf den Lottogewinn; der Bäcker an der Ecke hofft, dass der konkurrierende Bäcker an der nächsten Ecke bald mal pleite geht oder noch besser bald mal stirbt; Studenten hoffen, dass sie eine Prüfung nicht verhagelt haben; der an Krebs Erkrankte hofft, dass irgendeine Therapie anschlägt etc. etc. etc. Man hofft also, dass irgendwelche Wünsche in Erfüllung gehen, wobei man den Wunsch selbst konkret vor Augen hat. Das ist die Art von Hoffnung, die mit dem Kalauer „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ adressiert wird. Es handelt sich um Prozesse und Vorgänge, die sich aus konkreten persönlichen oder gesellschaftlichen Konstellationen ergeben. Es kann auch ein bisschen komplexer sein, manche Leute hoffen, dass irgendjemand mal Putin eine Ladung Blei ins Hirn bläst, was ja für den Gang der Weltgeschichte positiv wäre, oder dass das Informationsfreiheitsgesetz schärfer formuliert wird. Es geht aber immer um Vorgänge, die ganz unmittelbar an die Realität anknüpfen.

Um diese Art von Hoffnung geht es in dem Werk von Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, überhaupt nicht. Die Frage inwiefern einer Hoffnung eine technische, soziale, ökonomische Tendenz entgegenkommen kann und muss wird zwar ausführlich diskutiert, ist aber nicht der entscheidende Punkt, zumal das Abstraktionsniveau dieser Diskussion erheblich ist. Auch wenn Ernst Bloch mal einen Essay der Frage gewidment hat, ob Hoffnung scheitern kann, dann handelt es sich bei Bloch um Hoffnung, die gar nicht scheitern kann, weil sie sich auf Zustände bezieht, die Möglichkeitsräume eröffnen, aber der Realität unvermittelt gegenüberstehen. Die Ode an die Freude von Friedrich Schiller beschreibt einen Möglichkeitsraum, der Wahrheitsgehalt, also die abstrakte Formulierung möglichen Glückes, der Ode bliebe erhalten, selbst wenn die Welt zwischendurch untergeht. Wahrheit kommt der Hoffnung hier insofern zu, als einige 100 Millionen Leuten verteilt über den Globus, die Ode als einen song of hope wahrnehmen, auch wenn niemand dabei an ein Möglichkeit zur Realisierung denkt. Die Hoffnung, dass ein Auto repariert werden kann, kann enttäuscht werden. Die Welle, die der Song Jerusalema um den Globus geschickt hat, kann so wenig enttäuscht werden, wie der Sternenhimmel der den Seefahrern vergangener Zeiten zur Orientierung diente. (Das ist der Punkt, auf den wir noch zu sprechen kommen. Artefakte dieser Art zeigen eine Richtung, haben aber mit der Realität gar nichts zu tun. Der so eröffnete Möglichkeitsraum wird nicht negiert, wenn die Realität ihn nicht ausfüllt.)

Die Hoffnung, um die es im Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch geht, ist irrational einerseits und intellektuell anspruchsvoll andererseits. Was die Leute bzgl. des Videos alles empfinden, können wir den 21 000 Kommentaren entnehmen. Einzelne Kommentare nehmen das Video als Gegenmodell zu einer in Konventionen erstarrten Gesellschaft wahr. Auf jeden Fall sind die Reaktionen weltweit ähnlich. Das allein ist schon eine message. Von dem Jerusalema gibt es ein paar Tausend Realisierungen auf youtube mit vereinzelt über 20 Millionen aufrufen. Selbst wer jetzt nicht sieht, dass dieses Video, man kann ohne weiteres noch Tausend andere finden, die die Perspektive auf unterschiedliche Zusammenhänge verändern können, wird konzedieren, dass diese Video eine andere Sichtweise auf Afrika eröffnet, ohne dass es allerdings konkrete Handlungsanweisungen liefert. Es gibt in allen Sparten Kunstwerke, die einen einzelnen Moment vollkommenen Glückes festhalten. Das Statement ist dann, dass das a) möglich ist und b) auch ewig dauern könnte. Vermutlich erleben die meisten Leute Glück intensiver vermittelt durch Artefakte aller Art, als in der Realität. Kunst ist insofern immer ein Gegenentwurf zur Realität. Wir hätten keinen Bedarf danach, wenn das berühmte tobende Leben, tatsächlich so toben würde, wie viele Leute das behaupten. Irrational ist Kunst insofern, als wir uns die Wirkung nicht erklären können. Kämen wir mit den Mitteln der Sprache an den Inhalt, bräuchten wir sie gar nicht. Die Wirkung könnte auch mit sprachlichen Mitteln erzielt werden, siehe auch https://theatrum-mundi.de/aesthetisches-empfinden-und-sprache/2/. Das meinen wir mit irrational. Die Tatsache, dass sich die Inhalte mit den Mitteln der Sprache nicht erfassen lassen.

Anders formuliert: Verschwinden die Bilder von Ankunft, dann verschwindet tatsächlich auch die Hoffnung. Ganz definitiv.

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