staunen, nicht ärgern

Was ist eigentlich gamification ?

Gamification führt zur Indifferenz gegenüber Inhalten, was insbesondere im Bereich GEISTESwissenschaften fatal ist, denn Beliebigkeit ist eben das Gegenteil von Geist, was aber im Moment nicht unser Thema ist, das ist hier https://www.die-geisteswissenschaften.de mal ausführlich abgehandelt worden.

Zumindest subjektiv haben die Leute den Eindruck, dass gamification sie weiter bringt und sie total viel Spaß haben, wobei letzteres daran liegen kann, dass sie so richtig Spaß selten haben und ersteres daran, was marketingtechnisch brilliant ist, die Programme so gestrickt sind, dass das positive Erfolgserlebnis garantiert ist. Auf jeden Fall führt der gamification Ansatz zwingend dazu, dass der User straff geführt wird. Er muss in jeder Situation und bei jeder Übung genau wissen, was er zu tun hat und alles muss vorher genau erklärt worden sein. Auch darin ähnelt gamification dem schulischen Ansatz, mit fatalen Auswirkungen im z.B. Fremdsprachenbreich. (Das ist das, womit sich der Autor beschäftigt, er entwickelt Lernoportale im Bereich Fremdsprachen, z.B. www.spanisch-lehrbuch.de.) Bei Fremdsprachen kommt es wesentlich darauf an, sich möglichst rasch einen Gesamtüberlick über das GESAMTE System zu verschaffen, die Details sind dann egal. Soll z.B. heißen: Man sollte früh erkennen, wie einfache Relativsätze gebaut werden, ob dann das Partizip Perfekt, wie im Französischen, angepasst werden muss, ob sich das Relativpronomen auf ein Indefinita, einen Sinnzusammenhang bezieht oder wie zu konstruieren ist, wenn vor dem Relativpronomen noch eine Präposition steht, ist erstmal egal. Live in colour ist man immer mit dem GESAMTSYSTEM konfrontiert, das muss man passiv, also lesend und hörend erkennen, aktiv, sprechend und schreibend, muss man es erstmal nicht. Gamification heißt nun aber, dass alle den gleichen Kenntnisstand haben, was wiederum bedeutet, dass Details ausführlich behandelt werden, aber der Überblick fehlt. Die Leute kennen dann alle Possessiva, aber nicht den Imperfekt, was in der Praxis schlecht ist. Praktischer ist, man hat eine ungefähre Ahnung von den Possessiva, auch wenn beim substantivischen Possessivpronomen nôtre im Französischn noch der accent grave fehlt und einen groben Überblick über den Imperfekt auf wenn das mit den Akzenten bei être noch ein bisschen durcheinandergeht, denn die Praxis ist immer die volle Dröhnung, das Detail bringt da wenig.

Was für den Bereich Sprachen gilt, gilt mutatis mutandis auf für andere Bereiche.

Der ultimative Hit der Gamification, also im Bereich digitale Lernprogramme für Sprachen, sind Kästchenübungen, das fasziniert die Leute total, noch mehr, wenn irgendein Fortschrittsbalken, ein Hurra aus dem Off oder ein Ranking das Ego streichelt, allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass Kästchenübungen besonders effizient sind. Viele Leute machen z.B. in Französisch sieben Jahre lang Kästchenübungen, kriegen aber live in colour keinen Satz hin. (Bei Englisch sieht es viel besser aus, das liegt aber daran, dass Englisch allgegenwärtig ist.) Gamification liegt die Idee zugrunde, dass Üben den Meister macht, was vielen Leuten einleuchtet, weil sie Alternativen noch nie probiert haben, z.B. mal einen Roman lesen, einen Songtext übersetzen, sich ein audio book bei youtube anhören etc.. (Alles Dinge, die nicht unter gamification fallen, aber unter Umständen an die subjektive momentane Befindlichkeit anschlussfähig sind und deshalb auf vielgestaltige Art bereichernd sein können, auch wenn das Ego nicht unmittelbar gestreichelt wird.) Warum an etwas, das man verstehen muss, auch noch üben muss, erschließt sich nicht unmittelbar.

Das eigentliche Problem ist verstehen, was bei den Fans der Gamification aber ein minor problem ist, womit wir beim eigentlichen Problem wären.

Gamification ist nicht gerade das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, das lernen zu lernen, denn das ist ein kreativer Vorgang und Programme, die den User straff führen, fördern nicht gerade die Kreativität. Bzgl. Sprachen lernen bedeutet Kreativität, dass man die SEHR zahlreichen Möglichkeiten, die das Internet bietet, auch tatsächlich nutzt. Von daher ist gamification auch ein bisschen old fashioned. Lernen zu lernen heißt auch, sich selber Fragen zu stellen bzw. Dinge zu hinterfragen und selbstständig nach einer Antwort zu suchen, z.B. anhand der Suchmaschine seines Vertrauens. Wer das intensiv macht, der braucht es auch nicht mehr üben, denn er hat das dann VERSTANDEN. Für Anbieter, die mit gamification werben, mag es interessant sein, wenn der User möglichst lange bei der Stange bleibt und die Programme total spaßig findet, respektive sich einbildet, dass das spaßig ist. Wer ein bisschen kreativ ist, wird festellen, dass der wahre Bär woanders stepppt und nur ein Mausclick entfernt ist. In diesem Sinne: Verum gaudium, res severa.

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