Die Patrioten sterben irgendwie nicht aus. Aus irgendeneinem Grund tauchen sie immer wieder auf. Die Variante soft erklärt uns dann, dass der Patriot sein Vaterland liebt, aber sich anderen ethnischen Gruppen nicht überlegen fühlt, wohingegen der Nationalist sich anderen „Völkern“ überlegen fühlt. Die Variante soft konstatiert dann bei globalen sportlichen Ereignissen, dass das Fahnen schwingen in diesem Zusammenhang eine fröhliche Angelegenheit sei und im übrigen vollkommen harmlos. Die Bandbreite der Erregung bei solchen Großereignissen reicht dann von Himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, je nach der Performance der „Mannschaft“, was wiederum nicht gerade dafür spricht, dass es sich um ein fröhliches Festival handelt, das die Identität der „Fans“ nicht berührt. Ohne diese starke emotionale Involviertheit, wären solche Veranstaltungen auch kaum ein milliardenschweres Business.
Wie die Identifikation mit einer Gruppe zustande kommt, ist weitgehend unklar. Gesichert sagen lässt sich nur, dass im Spannungsfeld zwischen Identifikation mit einer Gruppe und Individualität die vermeintliche Zugehörigkeit zur Gruppe bei den Patrioten überwiegt.
(Zumindest, wenn diese Zugehörigkeit rein virtuell ist, denn auch der Patriot hat natürlich ab einer bestimten Einkommenshöhe einen Steuerberater, von dem er sich erhofft, dass er die Steuerlast trickreich mindert.)
Sagen lässt sich, dass der Patriot / Nationalist eher davon ausgeht, dass die Wertvorstellungen, Ziele, Charakter, Gewohnheiten, etc. von der Gruppe, zu der er sich zugehörig fühlt, unbewusst, oder sogar unreflektiert, übernommen werden. Ohne diese Vorstellung ist Patriotismus nicht denkbar. Der Patriot / Nationalist fühlt sich einer bestimmten Gruppe verbunden, teilt also deren Vorstellungen, wobei, nie so öffentlich bekundet, aber offensichtlich, die gleichen Wertvorstellungen nicht auf einem Individualisierungsprozess beruhen, der zufällig zu den gleichen Vorstellungen geführt hat, sondern Ergebnis sind der Prägung durch das Kollektiv bzw. ab ovo bereits vorhanden sind. Es ist relativ unwahrscheinlich, geht man nicht von einer genetischen Determiniertheit aus, dass ein Individualisierungsprozess zu einer Gruppe mit gleichen oder ähnlichen Vorstellungen innerhalb von nationalstaatlichen Grenzen führt, die lediglich Ausdruck vorgangener Machtverhältnisse sind. Wahrscheinlicher ist, dass ein Individualisieirungsprozess zu Gruppen führt, deren Mitglieder auf der ganzen Welt zerstreut sind.
Diesem Prozess steht ein ganz anderes Ideal gegenüber. Der Prozess der Individualisierung. Dieses Ideal geht davon aus, dass sich eine Persönlichkeit erst im Laufe eines Prozesses herausbildet und insistiert auf der Einzigartikeit des Individuums.
Der Patriot / Nationalist sieht das Individuum also im wesentlichen durch die Gruppenzugehörigkeit determiniert, wohingegen der Individualisierungsprozess auf der Suche nach dem eigenen Weg insistiert. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Je mehr Patriotismus, desto weniger Individuum und je mehr Individuum, desto weniger Patriotismus. Die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus könnte man von daher auch anders bestimmen. Bei Patrioten bleibt noch ein Teil an Individualität, beim Nationalisten ist diese dann ausgeschaltet. Das erklärt auch den Nationalismus autokratisch regierter Staaten. Die haben dann gar kein Interesse mehr an Individuen, denn diese sind dann die lebende Verkörperung von Alternativen, was die Machtbasis bedroht.
Es ist ein eigenartiges Phänomen, dass in der öffentlichen Debatte die Frage, was ein „gesunder“ Patriotismus ist und wie dieser gepflegt werden kann, dominiert. Die Frage, wie der Staat den Individualisierungsprozess fördern kann, wird weit seltener diskutiert.
Nüchtern betrachtet ist der Staat eine Verwaltungseinheit und das Heimatland ist da, wo das zuständige Finanzamt ist. Dieser Staat braucht ein gewisse Größe um die nötige Infrastruktur, Krankenhäuser, Schulen, Straßen, Universitäten, Finanzierung von Forschung und Entwicklung, Geld etc. zur Verfügung zu stellen. Staaten wie Monaco, Lichtenstein, Andorra sind nicht lebensfähig und greifen auf die Infrastruktur größerer Länder zurück. Wie groß so eine Verwaltungseinheit sein muss, ist völlig unklar. Wir haben hier eine weite Bandbreite von Luxemburg bis USA. Viele kleine Staaten können aber wirtschaftlich relevante Zusammenhänge, etwa durch eine gemeinsame Währung und Abbau von Zollschranken, auch so regeln, dass sie effizient agieren können. Relevanter für den Gruppenzusammenhalt sind die sozialen Sicherungssysteme. Hier muss entschieden werden, wer durch diese System abgesichert ist und das sind eben, allgemein gesprochen, die Leute, die zur Gruppe gehören. Weiter muss in einer Demokratie darüber entschieden werden, wer stimmberechtigt ist. Solche Momente erzeugen ebenfalls eine Kohäsion der Gruppe. Im Grunde ergibt sich die Zugehörigkeit lediglich aus dem Pass, verwaltungstechnisch ist allein das relevant, aber aus irgendwelchen Gründen kann man das nicht so sagen. Vermutlich weil dann die Nichtgewährung von Leistungen an Angehörige anderer Gruppen schwerer begründbar wäre. Dies wiederum hat eine Eigendynamik. Der Machterhalt hängt von der Gruppe ab, die wahlberechtigt ist.