Bekanntlich ist der Existentialismus eine philosophische Strömung, bei der der MENSCH den Sinn setzt, oder auch nicht, aber dieser Sinn nicht von irgendwas abgeleitet werden kann. Also: Wer an Gott glaubt, geht davon aus, dass dieser eine Vorstellung davon hat, was der Sinn des Lebens ist und folglich geht es nur noch darum, dem Plan Gottes zu folgen, denn der weiß, wo es lang geht. Wer sich was darunter vorstellen will. Wenn Benedict der Xte aus Bayern meint, dass sich die Würde des Menschen nur dadurch ableiten lässt, dass eben selbiger von Gott erschaffen wurde, dann ist der ultimative Bezugspunkt eben Gott. (Psychologen würden sagen, dass Benedict unfähig ist zur Empathie. Wer Gott braucht, um Mitleid zu empfinden, hat ein manifestes psychisches Problem und sollte zum Psychiater. Bei Benedict mit seinen roten Schühchen ist ja ein gewisser Narzissmus, der psychologisch oft mit mangel an Empathie assoziiert wird, ziemlich manifest.) Völlig anders der Existentialismus à la z.B. Camus. Wenn Sisyphos ewig einen Stein den Berg hochwälzt und der dann auf der anderen Seite wieder runterkullert, dann ist das vordergründig natürlich ziemlich sinnfrei. Allerdings kann Sisyphos das auch lassen, insofern ist er frei. Es ist also Sisyphos, der den Sinn setzt und nicht die Götter.
Bei Goethe ist die Angelegenheit im Grunde ziemlich klar. Gott hat null Plan, wohin die Reise geht und beauftragt seinen Knecht, so nennt er ja Faust, herauszufinden, wohin die Reise geht. Der macht, wie allgemein bekannt, dann eine Menge Unsinn, „es irrt der Mensch, solange er strebt“, kommt aber letztlich zur entscheidenden Erkenntnis.
Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn
Letztlich kommt ihm also die Erkenntnis nachdem er, bei Ovid passiert genau das Gegenteil, die Hütte von Philemon und Baucis abgefackelt hat, dass der Mensch eben nur dann ein sinnstiftendes Leben führen kann, wenn er die Menschheit als solche voranbringt. (Was ja irgendwie sachlogisch auch richtig ist. Wer Ruhm und Ehre erwerben will, muss schon irgendwie dafür sorgen, dass die Menschheit überlebt und im Zeitalter der Globalisierung ist der Maßstab halt die Welt. Alexander der Große wollte Ruhm und Ehre bei den Griechen, eigenlich ja nur bei den Mazedoniern, das ist natürlich nicht besonders ambitioniert und die Methode, die er angewandt hat, letztlich auch nicht zielführend. Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Friedrich Schiller, Beethoven, Bob Dylan, Eduardo Aute, Bansky etc. etc. etc. sind da schon eine ganz andere Liga. Also die Menschheit zu verachten und trotzdem Ruhm und Ehre erwerben wollen, das beisst sich irgendwie.)
Was allerdings bei Goethes Faust verblüfft ist diese Stelle, wo er die Quintessenz des Existentialismus sozusagen, und ziemlich sprachgewaltig, auf den Punkt bringt.
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird’s zugrunde gehn.
Das ist geradezu Ontologisch, ganz à la Sartre, L’Être et le Néant, das Sein und das Nichts. Hier hat also nicht Gott das Licht erschaffen, „und Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht“, sondern die Finsternis, also sozusagen das Nichts, hat das Licht, das Sein, erschaffen. Licht im physikalischen Sinn, also im Sinne von Strom von Photonen, kann nicht gemeint sein. Es ist zwar richtig, dass die Wahrnehmung von Farben darauf beruht, dass Körper bestimmte Wellenlängen des Lichts absorbieren und das was übrig bleibt eben als Farbe wahrgenommen wird, „verhaftet an den Körpern“ klebt, aber wir können dem Kontext entnehmen, dass Goethe keine Einführung in die Physik schreiben wollte. Licht, in rein physikalischem Sinn, ist auch nicht stolz, macht der Dunkelheit nichts streitig und strebt auch nicht. Das machen nur Menschen. Finsternis finden wir oft als Metapher für geistig rückständig und Licht als Metapher für Vernunft, z.B. wenn wir von finsterem Mittelalter sprechen und jemand, der kein großes Licht ist, ist eben geistig etwas langsam. (Wobei makroökonomisch betrachtet das relativ zu sehen ist. Vermutlich wäre die Resourcenallokation besser, wenn mehr Leute beteiligt wären, die moralisch integer sind. Die dürfen dann ruhig ein bisschen langsamer sein, das macht makroökonomisch gar nichts. Intelligenz ist vermutlich die überbewerteste Eigenschaft überhaupt.) Mit den Körpern, von denen Mephistopheles hofft, dass sie bald zugrunde gehen, womit dann auch das Licht, also die Vernunft, der Geist etc. verschwinden würde, kann es sich auch nur um Menschen handeln. Tote Materie ist schon tot, töter geht nicht.
Wenn wir uns jetzt darauf verständigen können, dass Finsternis und Licht hier Metaphern sind und Finsternis schlicht für NICHTS steht und das Licht für SEIN, genau genommen für BEWUSST-SEIN, also ein Sein, dass sich eines Seins bewusst ist, dann beschreiben die Zeilen so einigermaßen die conditio humana im Universum. In den unendlichen Weiten des Universums, im Grunde ein um sich kreisender bedeutungsloser Müllhaufen aus Geröll aller Art, gibt es nur einen winzigen Planeten, wo tatsächlich sowas wie Sinn entstehen kann und das ist eben die Erde. Es liegt also allein am Menschen, ob er Sinn stiftet oder eben nicht. Mephistopheles ist hier also der Vertreter des NICHTS, er will schlicht, dass es keinen Sinn gibt. Nirgendwo.