staunen, nicht ärgern

Braucht man eigentlich Identität? Die Jungs und Mädels von der AFD werfen Fragen auf, auf die kommt man gar nicht so ohne weiteres.

Da verlässt ein Mädchen die Heimat, in der Meinung, dass alles, was es dort gibt, auch woanders vorhanden ist, was sich als falsch heraustellt. So eine Erfahrungsdichte hat sie nie mehr erfahren und also sie zurückkommt, gibt es die Blumen, das Haus ihrer Kindheit und ihre Freunde nicht mehr. Die Leichtigkeit ist für immer verloren.

Quand j’ai quitté ce coin de mon enfance
Je savais déjà que j’y laissais mon cœur
Tous mes amis, oui, enviaient ma chance
Mais moi, je pense encore à leur bonheur
À l’insouciance qui les faisait rire
Et il me semble que je m’entends leur dire
Je reviendrai un jour, un beau matin
Parmi vos rires
Oui, je prendrai un jour le premier train
Du souvenir

Als ich verließ den Winkel meiner Kindheit
wusste ich schon, dass ich mein Herz verlieren würde
Alle meine Freund, beneideten mich um mein Glück
Aber ich, ich denke an die Leichtigkeit, mit der sie lachten
Und ich glaube mich sagen zu hören
Ich werde eines Tages zurückkommen, eines Morgens
empfangen von euren lachenn
Ja, den ersten Zug werde ich nehmen
der Erinnerung

Heimat kann auch so aussehen. In diesem Falle war es wohl eher eine traurige Grundstimmung, die seine gesamte Kindheit prägte, wobei sich der Hafen für immer in sein Gedächtnis eingebrannt hat.

 

Pero este puerto amarra como el hambre
No se puede vivir sin conocerlo
No se puede mirar sin que nos falte
La brea, el viento sur, los volantines
El pescador de jaibas que entristece
Nuestro paisaje de la costanera

Aber dieser Hafen fesselt wie der Hunger
man kann nicht leben ohne ihn gekannt zu haben
man kann ihn nicht betrachten, ohne dass er uns fehlt
der Teer, der Südwind, die Angeln
der Krabbenfischer, der traurig stimmt
unsere Küstenlandschaft

Und last not least, unabhängig von den Problemen, die deutschen Patrioten mit den Arabern haben, darunter subsumiert die AFD alles, was irgendeinen arabischen Akzent spricht, von Marokko bis Saudi Arabien inklusiv Tunesien, das eigentlich eher französisch ist, vermutlich ist bei der AFD auch Amin Maalouf Araber, klingt Heimat in allen Sprachen dieser Welt ziemlich ähnlich. Und wenn Libanesen die Heimat besingen, kann das schon mal klingen wie Joaquín Rodrigo. Also da vermischen sich alle möglichen Kulturen, aber das ist schon seit ein paar Tausend Jahren so. Bedauerlicherweise sind wir alle genetisch beschränkt und etwas faul und die Zeit, die wir haben, zu kurz, um alles was man geistreich vermischen könnte, zu vermischen, so dass es manche Leute tatsächlich bis zur Identifikation mit irgendwas schaffen und in ihrem Gefängnis verharren können. Das tobende Leben findet dann woanders statt.

Heimat sucht keine Identifikation mit irgendwas, Heimat ist Sehnsucht pur und universell. Steht schon bei Goethe.

Denn ach mich trennt das Meer von den Geliebten,
Und an dem Ufer steh ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;

Goethe, Iphigenie auf Tauris

Mit der Seele etwas suchen, ist was ganz anderes wie das, was ein Patriot tut. Wer mit der Seele sucht, kann nicht mal jemandem erklären, was er eigentlich sucht und im Zweifelsfalle weißt er nicht mal selber, was er eigentlich sucht. Heimat ist nicht mal an einen Ort gebunden, Heimat ist ein Zeitraum, der auch sehr kurz sein kann. Heimat ist erstmal das radikale Gegenstück zum Horror. Horror ist die maximale Entfremdung, ist eine Welt, in der nichts mehr vertraut ist. Das sehen wir unmittelbar ein, wenn wir einen Horrorfilm betrachten, bzw. ein Buch mit einem solchen Inhalt lesen. Der Patriot will ein Element einer Organisation sein und Organisationen neigen dazu, ziemlich undurchschaubar zu werden. Ein richtiger Patriot kann wohl nur der werden, der seine Heimat verloren hat und auch noch nie eine hatte. Wer Heimat kannte, sucht kein Vaterland, sondern eben die Heimat. Er sucht nicht die „Identifikation“ mit einem äußerst abstrakten, vielschichtigen Gebilde, mit dem man sich aufgrund der Heterogenität gar nicht „identifizieren“ kann, sondern etwas sehr Konkretes. Ob die administrative Einheit in der er lebt jetzt Berlin, Baden-Württemberg, Deutschland oder Europa ist, ist weitgehend egal, bzw. sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe.

Ob die deutsche Bundesbank für die Geldpolitik Deutschlands zuständig ist oder das über die EZB für den ganzen Eurorraum gemacht wird, ob Europa eine gemeinsame Außenpolitik vertritt oder jedes Land hier sein eigenes Ding macht, inwieweit die Freizügigkeit für Arbeit, Waren und Kapital gelten soll, ob eine gemeinsame Agrarpolitik Sinn macht, inwieweit berufliche Qualifikationen wechselseitig anerkannt werden sollen etc. etc. etc. sind Fachfragen und auf einer ganz anderen Ebene. Was die zwei Jungs da oben in dem Video diskutieren ist völlig irrelevant. Die vermischen da zwei Ebenen, die nichts miteinander zu tun haben. Hat der einzelne Tscheche, Ungar, Slowake, Franzose etc. den Eindruck, dass die EU für ihn persönlich keine Vorteile bringt, wird er für einen Austritt aus der EU oder für eine Änderung der institutionellen Rahmenbedingungen plädieren und sich bei Wahlen dementsprechend verhalten. Das ist aber völlig unabhängig, von seiner „patriotischen“ Einstellung. Beurteilt er die EU Mitgliedschaft für vorteilhaft, will er in der EU bleiben, unabhängig davon, ob er an den patriotischen Hokuspokus glaubt oder nicht. Umgekehrt, umgekehrt.

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