staunen, nicht ärgern

Goethe oder Gottschalk?

Die zwei Kritikpunkte am Utilitarismus listet er dann auf in 29:59. a) kein Minderheitenschutz, b) nur eine Messlatte (Dollars)

Den Ansatz an sich, pain and pleasure, messbar zu machen, illustriert Michel Sanders an einem anderen Beispiel. Man könnte die Leute auf Fragen, für wieviel Geld sie sich den großen Zeh abhacken würden, bzw. einen 6 cm langen Wurm essen würden, bzw. in Kansas leben würden. Bepreist man das, kann man das Leid quantifizieren. Umgekehrt kann man auch pleasure quantifizieren. Man kann die Leute also fragen ob, dies sind seine Beispiele, ob sie lieber eine Szene aus einem Werk von Shakespeare ansehen wollen oder eine Spieleshow oder die Simpsons. Die Diskussion mit den Studenten ist dann ganz lustig.

Die Frage, ob tatsächlich alle pleasures gleichwertig sind, diskutiert er dann anhand eines Zitats von John Stuart Mill. (Mehr zu John Stuart Mill bei www.economics-reloaded.de.)

Of two pleasures, if there be one to which all or almost all who have experience of both give a decided preference, irrespective of any feeling or moral
obligation to prefer it, then that is the more desirable pleasure.

Wenn es bei zwei Vergnügungen eines gibt, das von allen oder fast allen unabhängig von Gefühlen oder moralischen Vorstellungen bevorzugt wird, dann ist
dieses das präferierte Vergnügen. Das Statement hilft aber nicht wirklich weiter, wie dann die folgende Diskussion mit den Studenten zeigt. Selbst an der Harvard University gibt es Studenten, die auf Action Filme stehen, obwohl die eigentlich alle gleich funktionieren.

So richtig scheint aber John Stuart Mill selbst nicht richtig überzeugt zu sein, denn jetzt kommt eine 180 Grad Wendung (48:10).

It is better to be a human being dissatisfied than a pig satisfied. Better to be Socrates dissatisfied than a fool satisfied. And if the fool or the pig are of a different opinion, it is because they only know their side of the question.

Es ist besser ein unglücklicher Mensch zu sein, als ein glückliches Schwein. Besser ein unglücklicher Sokrates als ein glücklicher Irrer. Und wenn der Irre oder das Schwein das anders sehen, dann liegt das daran, dass sie nur ihre Sicht der Dinge kennen.

Es mag jetzt schon sein, dass Vilfredo Pareto, Carl Menger und Léon Walras, also die Standardökonomen der reinen Lehre, glückliche Schweine sind, die so richtig den Unterschied zwischen Rindsroulade und Schillers Ode an die Freude nicht kennen, aber so richtig weiter hilft uns das auch nicht.

Die Geisteswissenschaften können wir in dem Zusammenhang abhaken, die sind komplett bedeutungslos. Würde der Staat die nicht mehr mit Milliarden subventionieren, würde das niemandem auffallen, siehe https://www.die-geisteswissenschaften.de.

Trotzdem verbleibt eine ernste Frage. Zumindest im öffentlichen Raum wird die Beschäftigung mit Kulturgütern als meritorisches Gut gesehen, also ein Gut, von dem die Leute ohne freundliche Unterstützung des Staates zu wenig konsumieren würden, weshalb man in der Schule eben Thomas Mann, Friedrich Schiller, Theodor Storm, Annette von Droste-Hülshof etc. etc. etc. durchnimmt. Wir wollen jetzt gar nicht darüber diskutieren, das wäre noch ein gesondertes Problem, was den Rang eines Kulturgutes hat. Mit der Etablierung eines Kanons in der Schule wird auch versucht, eine nationale Identität zu schaffen. So machen halt Italiener die Divina Commedia, die Spanier Don Quijote, die Perser Schahname, die Franzosen L’education sentimentale, die Engländer Hamlet etc. etc. etc.. Geht es um Schaffung von nationalen Identitäten, kann man auch gleich Vanille Pudding im Literaturunterricht verspeisen, das gibt sich dann nicht viel.

Der Versuch Kulturgüter zu definieren ist unmöglich. Wir können aber sagen, dass die Beschäftigung mit Kulturgütern, sieht man mal von verbeamteten Geisteswissenschaftlern ab, die suchen vor allem mal eine feste Stelle, niemanden so zurücklässt, wie er war. Kulturgüter überschreiten das Leben, allerdings wird der Raum, indem sie gegenwärtig sind, immer enger. Auch bei Kulturgütern, etwa Fremdsprachen, steht zunehmend der ökonomische Nutzen im Vordergrund. Wenn alle Aktivitäten ökonomische motiviert sind, wir haben dann keine market economy mehr sondern eine market society, wie Michel Sandel formuliert. Die market economy, die Marktwirtschaft, ist letztlich ein Instrument zur Steuerung der wirtschaftlichen Aktivitäten, aber nicht das Ziel. Dienen aber alle Aktivitäten nur noch der Optimierung des Instruments, dann geht allmächlich das Ziel verloren. Wenn Zangen nur noch dafür verwendet werden, andere Zangen zu produzieren, wird die Produktion des Instrumentes Zange sinnlos. Kultur braucht Zeit, wird die ganze Zeit mit der Optimierung des Instruments verbraucht, reicht es eben gerade noch für Vanillepuddings, Rindsrouladen, Gotschalk, Tatort oder sinnfrei den mit gewaltigen Booten Miami Beach rauf und runter zu brettern. Da wird dann nichts mehr überschritten, sondern nur noch bestätigt, was da ist und das mit einem gewaltigen Verbrauch an Resourcen.

 

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