staunen, nicht ärgern

ästhetisches Empfinden und Sprache

Die letzten beiden Zeilen rufen süße Himmelslieder auf, um das Gefühl der Sehnsucht weiter zu verstärken, während der Sprecher in Tränen ausbricht und sich wieder auf die Erde besinnt.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass das Gedicht „Sehnsucht“ von Goethe das Gefühl der Sehnsucht beschreibt, das den Sprecher dazu treibt, in der Natur zu wandern und durch Tränen eine neue Welt zu entdecken. Die Erinnerung an eine unbeschwerte Jugend hält ihn jedoch zurück und lässt ihn seine Träume nicht aus den Augen verlieren.
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Also ChatGPT sagt etwas und das, was ChatGPT sagt, hat auch eine Bedeutung, aber leider keine Bedeutsamkeit. Mangels Welterfahrung bleibt ChatGPT auch nichts anderes übrig, als mit sprachlichen Mitteln die Welterfahrung zu beschreiben. Der einzige Weg ist aber umgekehrt. Die Welterfahrung mit sprachlichen Mitteln zu erfassen und das ist manchmal schlicht unmöglich. Gadamer ist eher so eine Art ChatGPT.

Bleibt noch die letzte Frage, die sowenig beantwortet werden kann, wie die vorherigen. WIE berührt das WAS eigentlich das WEN. Dass es beim berühren nicht um die intellektuelle Durchdringung geht, zeigt schon die Tatsache, dass es mit Adverbien verbunden werden kann, die im Zusammenhang mit einer intellektuellen Durchdringung keine Sinn machen: Das hat ihn tief berührt; das hat ihn sehr berührt. Im Gegenzug dazu kann man etwas gründlich durchdenken, also z.B. alle möglichen Szenarien mitdenken, aber man kann nicht etwas tief durchdenken. Ästhetisches Empfinden adressiert gar nicht den Verstand, von daher wird es auch gar kein verstehen im Sinne Gadamers geben. Der hermeneutische Zirkel wird auch nicht zirkeln, denn das würde voraussetzen, dass ästhetisches Empfinden so etwas ist, wie eine Meinung oder ein Vorverständnis, das argumentativ verändert werden kann. Das ist aber nicht der Fall. Wenn man nicht gerade zu der Gruppe gehört, die in Miami mit einer dicken Karre vorfährt und einen irren Preis für Handtaschen mit Punkten bei Louis Vuitton im Design District bezahlt und sich dann total Chick vorkommt, dann kommt die message des WAS beim WEN auch an.

Der Song schlägt dann bei manchen Leute ein wie eine Bombe.

I’m a tough cookie, there’s only half a dozen songs that always move me to tears, and this is one of them. Great performance!

Vermutlich ist das für das tough cookie a song of hope, aber rational zu verstehen gibt es nichts, weil der Song gar keinen Gegenentwurf zur Gesellschaft entwirft.

Dass eine Haltung zur Welt auch auf einer rationalen Bewertung beruhen kann und diese Haltung dann wiederum das WEN verändert, kann sein, aber für das ästhetische Empfinden im Grunde ziemlich belanglos. Das berühren richtet sich auch gar nicht an das Organ, dass für verstehen im Sinne Gadamers zuständig ist. Man kann sagen „Das hat sein Herz berührt“, wenn aber etwas das Hirn berührt, handelt es sich um einen chirurgischen Notfall, das ist eine ganz andere Nummer. Es ist zwar zu konzedieren, dass die Verortung ästhetischen Empfindens im Herz sicherlich falsch ist, aber deutlich wird, auch sprachlich, dass wir es nicht mit einem rationalen Prozess zu tun haben. Das Herz denkt nicht. Sieht so aus, wie wenn man sich mit allzu viel Platon von der Welterfahrung entfernt, also in letzter Konsequenz gar nicht mehr in der Lage ist, überhaupt noch konkrete Erfahrungen mit der Welt zu machen.

Bleibt die letzte Frage, die wir wie die vorherigen natürlich auch nicht beantworten können, die Frage nach dem WARUM. Die Frage stellt sich um so mehr, als vor allem die Literatur dazu neigt, uns weniger Gestalten vorzuführen, die durch ungewöhnliches Verhalten Probleme lösen, als Personen, die durch gewöhnliches Verhalten Probleme schaffen. Das Phänomen begegnet uns zwar auch allabendlich in der Glotze, aber bei einem Roman wie z.B. O cortiço, https://www.portugiesisch-lehrbuch.de/content/literatur/Azevedo/index.htm, ist das noch ein bisschen intensiver.
Vor allem Romaciers, allen voran Thomas Mann, scheinen einen besonderen Faible für das Scheitern zu haben. Ganz pragmatisch könnte man sich ja auch auf den Standpunkt stellen, dass die Buddenbrock family einfach eine Horde von Spießern war und die Probleme die Kafka hatte, ließen sich mit einer schärferen Formulierung des Informationsfreiheitsgesetzes lösen. Aber auch hier gilt, was immer gilt. Dass die Romane in ihrer pessimistischen Grundhaltung verstanden werden, liegt daran, dass das Gegenteil präsent ist. Von Adorno stammt ja dieses berühmte Verdikt:

Der Bürger hätte gerne die Kunst leicht und die Arbeit schwer. Umgekehrt wäre es besser.

Dahinter steckt die Idee, dass die Kunst ein Gegenentwurf zum Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellt und dieser Gegenentwurf eben das Resultat von Arbeit ist, was dann bedingt, dass die Rezeption wiederum Arbeit verlangt. Da stellt sich dann natürlich die Frage, die sich Adorno dann auch selber stellt, warum jemand Arbeit in etwas investieren soll, wenn der Nutzen, den er aus dieser Arbeit zieht, unklar ist. Letztlich geht es Adorno aber wohl um die Frage, ob Kunst, die offensichtlich opponiert, nicht in das System integriert ist. Um es mal ganz offensichtich auf den Punkt zu bringen. Von Baldur von Schirach, Reichsjugendführer der NSDAP, hat ein Traktat geschrieben mit dem Titel: Goethe an uns. Ewige Gedanken des großen Deutschen. (Die Soft Variante haben wir in Hermann Hesses Steppenwolf. Da regt sich Harry Haller darüber auf, dass Goethe zur Erbauung geschrumpft ist, so nach dem Motto „mit Goethe durch das Jahr“) Wie dem auch immer sei, auch der Bürger versucht aus den verengten Verhältnissen auszubrechen und der breiteste Ansatz hierzu ist eben das ästhetische Empfinden. Ohne ästhetisches Empfinden, bleibt nicht viel übrig. Manche Leute gehen davon aus, dass es das tobende Leben einfach so gibt. Das dürfte falsch sein. Ohne ästhetisches Erleben, tobt da nicht viel. Das Leben reduziert sich dann auf rein biologische Zusammenhänge. Cum grano salis könnte man das so zusammenfassen: Das ästhetische Empfinden ist alternativlos.

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