staunen, nicht ärgern

Der Tod und der Geist

Was die Menschheit vornehmlich und vor allem beschäftigt, also bei sogenannten „philosophischen“ Problemen, ist die Frage, was nach dem Tod kommt. Sprachgewaltig, auch noch in der Übersetzung, bringt Chayyam (geb. 1048, gest. 1131) das auf den Punkt.

Das Rätsel dieser Welt, löst weder du noch ich
diese geheime Schrift, liest weder du noch ich,
wir wüssten beide gern, was jeder Schleier birgt,
doch wenn der Schleier fällt, bist weder du noch ich.

Er stellt also a) darauf ab, dass es zwischen dem Diesseits und dem Jenseits eine Verbindung geben müsse, man das Rätsel also lösen könnte, wenn man beim Diesseits mehr Durchblick hätte, b) dass eben dies nicht möglich ist und c) dass es ein Jenseits gibt. In seinem Gesamtwerk rät er also zur Gelassenheit und zur religiösen Toleranz. Wir können daraus, aber das ist ein anderes Thema, lernen, dass wenn die Leute ihre Tradition ernst nehmen würden, der Menschheit all die Pleiten, Pech und Pannen erspart bleiben würden. Ganz ernsthaft: Der Nationalsozialismus ist auch ein Problem der Literaturdidaktik. Das ist nichts Iran Spezifisches. Die hätten an der Penne ja auch das Werk von Amin Maalouf, Samarkand lesen können. Chayyam auf der einen Seite, religiöse Spinner auf der anderen.

Was der Geist, so er denn institutionell verankert ist, bewirken könnte, hat der Autor mal hier diskutiert: http://www.die-geisteswissenschaften.de. Ist aber gerade nicht Thema.

Im Christentum gibt es zwar ein Himmelreich, „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“, aber leider teilt uns Jesus nicht mit, wie es da aussieht.

Das gesamte Werk Dante Alighieris beschäftigt sich mit dem Jenseits. Inferno, Purgatorio, Paraíso, sind alle verortet in Bereichen, die man nur betreten kann oder muss, wenn man sich die Radieschen schon von unten anschaut. Über die Divina Commedia hat der Autor dieser Zeilen mal eine SEHR dicke Website produziert: https://www.divina-commedia.de. Die Divina Commedia folgt so weitgehend dem bekannten Schema, wenn auch reichlich abstrakt mit viel Thomas von Aquin. Also die Bösen landen erstmal in der Hölle, die mittelmäßig Bösen im Purgatorio und die, die schon auf Erden die reinsten Engel waren, gleich im Paraíso, das schaffen aber nur die wenigsten. Die Herrlichkeit des Paraíso wird zwar höchst abstrakt beschrieben, aber da Dante ja nie da war, verliert das Teil dann im Paraíso jegliche poetische Wirkung. Mit Bösewichtern kennt er sich besser aus, da hat das Teil wirklich hübsche Verse.

Ihr Lichtgang war so lichtlos trüber,
Mitleid verschmäht sie und Gerechtigkeit,
Schau hin und geh vorüber

Bei den Germanen, Kelten, Ägyptern etc. geht es im Jenseits so weiter wie im Diesseits, deshalb wird das Kochgeschirr, Waffen, Schiffe und was man sonst noch so brauchen könnte, dem Grab beigelegt. Smartphone ist noch nicht dabei, aus naheligenden Gründen. Das ist richtige tiefsinnig. Das Jenseits beschäftigt die Leute zwar, aber da ist Null Fortschritt. Die chinesischen Kaiser lassen sich auch gleich mit einer ganzen Armee aus Terrakotta Kriegern beerdigen. Da können sich dann im Jenseits zwei Terrakotta Armeen gegenseitig verprügeln. Warum, weshalb, wieso ist zwar unklar, aber das ist eine Konstante. Xi Jinping will sich ja wegen einer im Vergleich zu China winzigen Inseln prügeln. Im DIESSEITS !! Wäre besser er würde das im Jenseits machen mit Kriegern aus Lehm.

Bei Goethe haben wir ja bekanntlich zwischen Faust I und Faust II eine Zunahme des Abstraktionsgrades. Heißt es im Faust I noch

Hörst du mich zum Augenblicke sagen,
verweile doch du bist so schön,
dann magst du mich in Ketten schlagen,
dann will ich gern zu Grund gehen.

Im Faust II steht dann

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft’ ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Aeonen untergehn. –
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick.

Was ihn also letztlich beglückt ist nicht der Augenblick hienieden, der so schön ist, dass er ewig währen könnte, dieser Versuch ist ja in Faust I gründlich in die Hose gegangen, sondern die geistige Vorwegnahme dieses Augenblicks. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die etwas träge Realität diesen Moment nicht liefern muss, das tut sie ja bekanntlich nicht. Das ganz große Kino kann geistig vorweggenommen werden. So gesehen verpasst man nicht viel, wenn man sich aus dem großen Welttheater verabschiedet. Das ganz große Kino findet eben im Kino statt. den Vorschein kann man also schon haben, bevor man aus dem großen Welttheater geworfen wird. Bevor Faust abschmiert, antizipiert er den ganzen Kreis der Möglichkeiten.

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick.

Wenn der Geist viel weiter fliegen kann, als die Realität, dann verpasst man nicht viel, wenn man aus dem großen Welttheater unfreiwillig expediert wird. Damit die Hoffnung in die Welt tritt, muss man zwar was tun, das ist geistreicher als der kategorische Imperativ von Kant, den realisieren Demokratien nämlich automatisch, denn auch der Bankräuber wird keine Partei wählen, die den Bankraub legitimiert. Sie handeln also, in einem demokratischen Abstimmungsprozess also durchaus im Sinne der Allgemeinhteit. Aber das, was sich am Horizont abzeichnet

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